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Islamophobie
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20.06.2011

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Islamophobie

Unter Islamophobie versteht der Islamische Zentralrat (IZR) in Anlehnung an die OIC (Organization of the Islamic Conference) eine seit den 1980er Jahren im Westen zunehmende irrationale Aversion gegen den Islam und oder die Muslime.

Seit 2004 lässt sich statistisch europaweit eine stetige, der Tendenz nach von West- und Mitteleuropa ausgehende Eskalation des Phänomens nachweisen. Vor allem in Europa wird Islamophobie vornehmlich aber nicht exklusiv von rechtsbürgerlichen bis rechtsextremen Parteien wahlkampftaktisch geschickt mit der wieder salonfähigen Fremdenfeindlichkeit verknüpft. Dabei wird das Islamische als fremd, nicht zur westlichen Tradition gehörend karikiert und wie im Falle der Anti-Minarett-Debatte 2009 absichtlich mit kulturell bedingten Problemen, wie dem Ehrenmord oder der Mädchenbeschneidung in Verbindung gebracht.

Das vermehrte Auftreten von Islamophobie lässt sich genausowenig wie jede Art der Xenophobie oder des Antisemitismus in einer direkten Kausalität zu mikro- oder makropolitischen Vorgängen in der Welt erklären. Vielmehr ist das Phänomen als Produkt eines gesamtgesellschaftlichen Islam-Diskurses zu verstehen. Eine wichtige Rolle dabei spielen einerseits die Medien, welche oft ohne das nötige Fachwissen und in blinder Quotenwut ihre vielfach ganz säkularen Themen islamisieren (bsp. aus einem Familiendrama wird ein Ehrenmord) bzw. islamische Themen aus z.T. kulturell völlig differenten Kontexten aufgreifen und sie popularisieren (Burka in Afghanistan). Andererseits nutzen rechte Politiker jede erdenkliche Möglichkeit, dem Bürger das Fürchten vor einer angeblichen imminenten Islamisierung Europas zu lehren. Dieser ständigen Angstproduktion folgt bald das Angebot nach Sicherheit und Kampf gegen die Islamisierung in Form von anti-islamischen Gesetzes- oder Verfassungsinitiativen (Minarett-Verbot, Niqab-Verbote, Vereinsverbote etc.).  Einmal in Gang gesetzt, lässt sich dieser selbstreferentiellen Angstindustrie nur noch mit grosser Mühe von aussen beikommen.

Unterscheidung zwischen Islamophobie und religionswissenschaftlicher Islamkritik

Nicht jede Form der Kritik am Islam oder an den Muslimen darf per se als islamophob motiviert gelten. So ist es völlig legitim, das Handeln einzelner Muslime zu kritisieren. Namentlich gibt es keinen Zweifel daran, dass wer kriminellen Aktivitäten nachgeht und deswegen Kritik auf sich zieht, kein Fall von religiös motivierter Diskriminierung geltend machen kann. Es hat auch nichts mit Islamophobie zu tun, wenn man die heute als gescheitert wahrgenommene Migrationspolitik scharf kritisiert und Massnahmen gegen weitere unkontrollierte Zuwanderung fordert. Der Islamische Zentralrat versteht, dass Migration ein polarisierendes Thema ist und dass es durchaus ernstzunehmende Argumente die bestehende Asylpraxis gibt.

Allerdings verläuft die Grenze zwischen Kritik und Phobie in der Praxis fliessend. Dies manifestiert sich in gewissen feministischen Diskursen, die äusserlich zwar wissenschaftlich gekleidet auftreten, sich tatsächlich jedoch auf einem Feldzug gegen das islamische Frauenbild befinden. Dies betrifft insbesondere Kreise um Alice Schwarzer, die unter dem Vorwand der Frauenbefreiung, totalitär-feministische Ideen vertreten, welche der muslimischen Frau das Recht auf Selbstbestimmung ihrer Lebensführung absprechen und sich stattdessen für religiöse und kulturelle Intoleranz  stark machen (Kleidervorschriften).

Praktische Manifestation

Die OIC unterscheidet in ihrem Jahresbericht zur Islamophobie von 2014 fünf Typen:

  1. In den Medien
  2. In intellektuellen / akademischen Diskursen
  3. In der Politik und der Gesetzgebung
  4. In Karikaturen
  5. Strukturelle Islamophobie

Hinsichtlich des europäischen Kontexts spielen vor allem die Typen 1, 3 und 5 eine wichtige Rolle, wobei der Einfluss der Medien auf den Islam-Diskurs bereits oben genannt wurde.

Die Schweiz hat sich mit dem Minarett-Verbot ein prominentes Beispiel für den dritten Punkt, Islamophobie in der Gesetzgebung, eingehandelt. Obwohl der notorische Verfassungsartikel Art. 72, Abs. 3 bei weitem nicht die einzige Einschränkung auf gesetzlicher Ebene[1] darstellt, ist es doch der mit Abstand eklatanteste, da es keinen wie auch immer gearteten rationalen Grund geben kann, den Muslimen das Errichten von Sakraltürmen zu verbieten, während es z.B. den Christen oder Hindus weiterhin gestattet ist. Es handelt sich um eine offensichtliche Diskriminierung der Muslime, die unter keinen Umständen hingenommen werden darf.

Weit am deutlichsten spürbar im Alltag der Muslime ist jedoch die mittlerweile grassierende strukturelle Islamophobie. Darunter zu verstehen sind Benachteiligungen:

  • Auf dem Arbeitsmarkt
  • Auf dem Lehrstellenmarkt
  • Auf dem Wohnungsmarkt

Daneben kommt es immer wieder vor, dass von Seiten einzelner Lehrer oder Schulvorsteher muslimischen Schülerinnen das Tragen des Hijabs untersagt wird. Zwar lässt sich bisher gegen solche Fälle mit einigem Aufwand noch ankämpfen. Für die betroffenen Kinder ist eine rechtliche Auseinandersetzung zwischen Schule und Eltern jedoch höchst unangenehm und führt zudem nicht selten zu hitzigen Debatten bis hin zu Anfeindungen in der Wohngemeinde. Wie lange der Hijab an Schweizer Schulen noch zulässig bleibt, hängt von einem anhängigen Entscheid im Ständeart ab. Der Nationalrat folgte am 11. Juni 2024 einem Gesetzesvorschlag der Aargauer Ständerätin Marianne Binder (Mitte), wonach der Hijab in Klassenzimmern verboten werden könnte.

In den Bereich der strukturellen Islamophibie fallen auch Fälle, wobei Muslime einzig aufgrund ihres Glaubens als potentielles Sicherheitsrisiko für den Staat betrachtet und in der Konsequenz z.B. wie im Fall von Oberst Gibril Zwicker aus dem Aktivdienst der Schweizer Armee entlassen werden.[2] Weitere anhand min. eines Falles belegbare Beispiele summarisch zusammengefasst:

  • Verweigerung der Einbürgerung wegen angeblich zu orthodoxer Glaubenspraxis
  • Angebotsverweigerung: Muslimische Vereine klagen über Schwierigkeiten beim Mieten von Festsälen etwa für die Eid-Gebete oder andere islamische Feste. Selbst beim Verkauf von Liegenschaften zwecks Nutzung als Moschee kommt es immer häufiger zu Verweigerungen.
  • Lehrerinnen wird das Tragen eines Hijabs während der Arbeit in der ganzen Schweiz verboten.[3]
  • Schwimmunterrichtdispense werden mit Berufung auf die Integration praktisch nicht mehr bewilligt.[4]
  • Verbale und seltener tätliche Attacken vor allem auf muslimische Frauen, wobei der Hijab als «fremd» identifiziert wird. In mehreren Fällen wird den angegriffenen Personen eine Ausreise aus der Schweiz z.B. nach Saudi-Arabien nahe gelegt.
  • Einige private Arbeitgeber verboten Muslimen auf dem Firmengelände die Pflichtgebete zu verrichten (auch in den Pausen).
  • Betende Soldaten in der Schweizer Armee lösen nach wie vor polemische Debatten aus. 

Rechtliche Grundlagen

Rechtlich besteht in der Schweiz seit Annahme des Minarett-Verbots Unklarheit über den Schutzbereich des in der Bundesverfassung verbürgten Rechtsgleichheitsprinzips (Art. 8 BV) und damit verbunden auch inwiefern das Diskriminierungsverbot hinsichtlich der muslimischen Minderheit noch anwendbar ist.

Das Strafrecht kennt zudem den Art. 261bis StGB, welcher vor allem vor dem Hintergrund des Antirassismuskampfes sowie allgemein gegen die öffentliche Verunglimpfung von Minderheiten erlassen worden war. Er schützt namentlich Personen oder Gruppen vor systematischer Herabsetzung oder Verleumdung ihrer Rasse, Ethnie oder Religion wegen. Diese in der Theorie ehrbare Absicht erweist sich zum Schutz der muslimischen Minderheit vor Diskriminierung und öffentlicher Stereotypisierung als ziemlich zahnlos. Von 12 bei der EKR zwischen 1995-2009 erfassten Fälle unter der Opfergruppe «Muslime» kam es nur viermal zu einem Schuldspruch, wobei nur in einem einzigen Fall exklusiv anti-muslimische Hetze als Grund des Schuldspruches verzeichnet wird. In den anderen drei Fällen bezog ich die Hetze primär auf Juden oder Schwarze. Seither haben die Gerichte ihre Praxis leicht verschärft. Der Islamische Zentralrat verzeichnete zwischen 2011 und 2024 bei über 30 direkt eingereichten Strafanzeigen eine Schuldspruchquote von über 35%.

Die Erfahrung der vergangenen Jahre zeigt aber, dass nur in ganz seltenen Fällen und nur dann, wenn sich die Diskriminierung mit teils grossem Aufwand akribisch nachweisen lässt, überhaupt auf eine Strafanzeige eingetreten wird. Dennoch ist es aus statistischen Gründen wichtig, dass jeder mögliche Verstoss zur Anzeige gebracht wird, auch dann, wenn die Erfolgsaussichten für muslimische Opfer meist geringer sind als z.B. für jüdische.

Hijab-Verbote an Schulen sind rechtswidrig

Die EKR lehnte 2011 in ihrer bisher ausführlichsten Stellungnahme eine Hierarchisierung einzelner Menschenrechte zugunsten einer Einschränkung der Religionsfreiheit a priori ab. Sie kam zum Schluss, dass ein Kopftuchverbot im Hinblick auf das Recht auf Religionsfreiheit «eine offenkundige Diskriminierung» darstellen würde und dass «diese direkte Diskriminierung rechtswidrig» sei. Zudem sei ein Kopftuchverbot nur auf das weibliche Geschlecht, Mädchen und Frauen, ausgerichtet und wirke somit in doppelter Weise diskriminierend. Individuelle Lösungen, welche die Rechte des Kindes und das Kindeswohl berücksichtigten, würden nicht angestrebt, sondern durch das Verbot verbaut.[5]
2015 folgte das schweizerische Bundesgericht der Argumentation des Islamischen Zentralrats und bestätigte die Vorinstanz in der Auffassung, dass ein Kopftuchverbot für Schülerinnen nicht verfassungskonform sei. Dieser Leitentscheid entspricht der aktuell gängigen Rechtslage in der ganzen Schweiz.

Bekämpfung  

Phobien gegen Minderheiten sind ein Problem der Mehrheitsgesellschaft und erfordern Anstrengungen zur Eindämmung auf allen Ebenen des öffentlichen Lebens. Dazu gehört in erster Linie Aufklärungsarbeit, das Abbauen von diffusen Ängsten sowie breit angelegtes kulturelles Gegensteuer z.B. über die staatlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten. Insbesondere Medienschaffende sind in der Pflicht, ihre Berichte und Karikaturen vor dem Hintergrund der Gefahr trivialer Stereotypisierung immer wieder neu zu hinterfragen.

Auf staatlicher Ebene gilt es gegen diskriminierende Gesetze und Verfassungsartikel auch entgegen kurzfristiger Wählergunst entschieden anzukämpfen. Macht sich einmal das Gefühl breit, das z.B. einem Minarett-Verbot Normalität zuschreibt, besteht die Gefahr, dass die Hemmschwelle für weitere vergleichbare Einschränkungen der Grundrechte sinkt und zwar nicht nur für Muslime. Die Diskriminierung einer Minderheit ist nicht eher moralisch gerechtfertigt, weil eine Volksmehrheit zustimmt!

Auch die Muslime sind ihrerseits in der Pflicht, durch vermehrte Teilnahme am öffentlichen Diskurs das heute weitverbreitete Zerrbild des Islams schrittweise zu korrigieren. Der Islamische Zentralrat vertritt die Devise: Öffentlichkeit schafft Vertrauen. Als äusserst schädlich hat sich in der Vergangenheit die unter den Kultur- und Migrationsvereinen stark verbreitete Leisetreterei erwiesen. Die Öffentlichkeit soll wissen, wer die Schweizer Muslime sind. Sie soll nicht nur über sie, sondern vor allem von ihnen hören. Sich vor den Medien zu verstecken schafft Misstrauen und eröffnet selbsternannten Islam-Experten das Tor zur Bühne, was letztlich zu einer aussen-perspektivischen diskursiven Machtstellung führt und die Möglichkeit auf Selbstdefinition der Muslime weiter einschränkt.

Gleichzeitig sollen muslimische Akteure aber auch darauf achten, Migrations- und Islamdiskurs weitestgehend zu entkoppeln. Die meisten in Europa vorherrschenden islamophoben Zerrbilder und Stereotypen haben ihren Ursprung in Geschehnissen oder kulturellen Eigenheiten, die ausserhalb unseres Kontinents liegen (Kriege, diktatorische Regime, kulturelle Bräuche wie etwa die pharaonische Mädchenbeschneidung  etc.). Die Migration aus solchen Gebieten hat diese Konflikte teilweise in unsere Gesellschaften hineingetragen. Dafür den Islam, zumal die in Europa sozialisierten Muslime, verantwortlich zu machen, ist nicht redlich. Die Entscheidung, wer unter welchen Bedingungen sich in einem Land niederlassen darf, ist Sache der Politik. Ergo müssen auch die Politiker die Verantwortung für ihre teils naiven Entscheide tragen. Muslime sollen sich in ihren Gemeinschaften für eine positive Einstellung gegenüber ihrer Gesellschaft und der freiheitlich-liberalen Ordnung einsetzen. Wir sind klar für ein miteinander und verstehen uns als Teil der Gesellschaft.

Vorfälle sofort melden

Die öffentliche Sensibilisierung für das Problem der Islamophobie funktioniert nur auf der Basis harter Fakten. Es ist daher äusserst wichtig, dass alle Fälle und wenn sie noch so unbedeutend erscheinen beim Islamischen Zentralrat gemeldet werden. Dies birgt nicht nur den Vorteil von rechtlicher Hilfeleistung, sondern hilft uns aussagekräftigere Statistiken z.H. der Öffentlichkeit zu publizieren.

Stand: 15.2.2025


[1] Zu nennen wären etwa noch das allerdings aus antisemitischen Motiven bereits 1893 erlassene Schächtverbot oder der Zwang zur zivilrechtlichen Eheschliessung vor der kirchlichen oder das Polygamieverbot.


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