Casablanca, 20.07.2012

Von Abdel Azziz Qaasim Illi

Ramadan_kareem_warum_fasten_wir_nicht_gleichGestern Abend herrschte einmal mehr das alljährliche Durcheinander an Informationen: Beginnt der Ramadan nun am kommenden Tag oder nicht? Saudi-Arabien, Qatar und Jordanien erklärten als erste die angebliche Sichtung des Neumondes. Kurz darauf folgte auch Ägypten. Viele andere Länder konnten diese Sichtung dagegen nicht bestätigen, so Syrien, der Irak und Marokko.

Die Astronomen hatten gewarnt: In keinem arabischen Land sei es möglich gewesen am 19. Juli (29. Sha’ban) den Neumond auch mittels optischer Geräte zu sichten. Allenfalls wäre eine Sichtung in Südamerika möglich gewesen, jedoch erst Stunden nachdem die Sonne in Arabien und Europa bereits untergegangen war.

Da der islamische Tag aber nach Sonnenuntergang einsetzt, wäre eine nachträgliche Erklärung des Ramadans nicht mehr möglich gewesen und der 20. Juli wäre als 30. Sha’ban in die Geschichte eingegangen.

Zeugnisse aus Saudi-Arabien

Dennoch fasten wir heute, ohne dass jemand den Hilaal gesehen haben dürfte. Der Grund dafür muss primär in Saudi-Arabien gesucht werden. Dort können Privatpersonen bei einem lokalen Gericht die Sichtung des Neumondes bezeugen. Dies geschah demnach auch gestern. Die offiziellen Sternwarten dagegen konnten wie zu erwarten keine Sichtung melden. Paradoxerweise vertrauen die Gerichte dennoch auf Zeugenaussagen Privater und leiten diese umgehend ans dar al ifta‘ weiter, welches seinerseits den Ramadan im Königreich ausruft.

In Ägypten verlässt sich die Al-Azhar traditionell nicht auf Sichtungen Privater, sondern führt ihrerseits Sichtungen durch. Dieses Jahr konnte jedoch am 19. Juli in Ägypten unter gar keinen Umständen eine Sichtung erfolgen. Es stellt sich die Frage, weshalb das zweite Zentrum islamischer Autorität trotzdem den Ramadan ausrief.

Weltweite Sichtung im Kommunikationszeitalter

Dazu sollte man die Frage aufwerfen, wie denn zur Zeit des Propheten jeweils mit dem Ramadan Beginn verfahren wurde. Zeugnisse aus der islamischen Frühzeit deuten darauf hin, dass der Raum oft als trennender Faktor in Erscheinung trat. Jede Stadt führte ihre eigene Sichtung durch und zwar mit blossem  Auge (das Fernrohr wurde erst im 16. Jh. in Europa erfunden). Ein Hadith empfiehlt die genaue Beobachtung der Mondbahnen im Monat Sha’ban, auf dass man weiss, wo der Neumond am Horizont zu erwarten ist. So war es üblich, dass z.B. in Medina bereits gefastet wurde, während in Mekka der Monat Sha’ban mit 30 Tagen vollendet wurde.

Die jüngsten Entwicklungen im Bereich der Kommunikationstechnologie stellen die islamischen Gelehrten vor eine neue Herausforderung. Denn ein Hadith fordert klar auf, dass eine ordentlich bezeugte Sichtung ausreiche, um den Ramadan im kommunikativ erschlossenen Raum auszurufen. Dieser Raum war in der islamischen Frühzeit meist auf eine einzige Stadt mit Umland beschränkt. Heute ist er theoretisch vom Ort der Sichtung in Richtung Westen gedacht weltweit konstruierbar. Hier tun sich jedoch viele Staaten noch schwer. Einige setzen auf wohl unzuverlässige Zeugnisse Privater, andere auf Fernrohrsichtung, was wiederum von dritten als Erneuerung (bid’a) abgelehnt wird und ganz wenige berechnen den Ramadan astronomisch, was jedoch von den meisten gelehrten abgelehnt wird.

Einheit des Ramadans, Einheit der Umma?

Es gibt universalistische Stimmen, die sich eine weltweite Vereinheitlichung des Ramadans herbeiwünschen. Sie argumentieren mit der Einheit der Umma. Dagegen wenden die Partikularisten ein, dass es eine solche Einheit des Fastens gar nie gegeben habe und die Idee an sich eine Erscheinung der jüngsten Vergangenheit sei.

Beide Meinungen sind korrekt. Dennoch sprechen auch einige praktische Gründe für eine Vereinheitlichung des Ramadans, soweit dies aufgrund der Zeitzonen-Differenzen möglich ist:

  • Personenverkehr: Viele Menschen sind heute auf Reisen. Sie beginnen den Ramadan in einem anderen Land, als sie das Fasten brechen. Bei Differenzen ergibt sich stets das Problem, dass die betroffene Person einen Tag vor- oder nachfasten muss oder soll, je nach Lehrmeinung.
  • Kommunikation: Internet und vor allem soziale Netzwerke erweitern den physischen Raum um eine neue Dimension. Darin findet laufend Kommunikation zwischen Muslimen unabhängig von ihrem physischen Aufenthaltsort statt. Freundeskreise sind nicht mehr länger an physische Nähe gekoppelt, sondern ereignen sich im virtuellen Raum genauso reell, wie im physischen Raum. Eine Synchronisierung des Ramadans wäre eine vernünftige Konsequenz aus dieser neuen virtuellen Nachbarschaft.
  • Islamische Identität: Einer durch modernen Verkehr und Kommunikation geprägten islamischen Welt wohnt auch unwillkürlich die Idee einer gemeinsamen Identität inne. Eine Vereinheitlichung der Fastenzeiten wie überhaupt die Vereinheitlichung von Normen und Standards auf der Basis der islamischer Normativität und islamischen Denkens verstärken das Zusammengehörigkeitsgefühl der Muslime über Landesgrenzen hinweg.

Wihadat al Umma ist korrekter als die beste Sichtung

Keinesfalls sollte der Ramadan-Beginn zur Betonung von Differenz missbraucht werden. Grabenkämpfe um die korrektere Methode sind weder nützlich noch fördern sie die Ziele des Ramadans, noch die des Islams als Ganzes. Letztlich sollten sich die Entscheidungsträger im regionalen Kontext der bestehenden Mehrheitsmeinung anschliessen, auch wenn eine Minderheit diese nicht für die beste hält. Will die Minderheit eine Änderung der Praxis herbeiführen, soll sie sich um diskursiven Einfluss bemühen und auf die evolutionäre Methode setzen, anstatt sich in sektiererischer Weise als isolierende Minderheit von der Mehrheit abzugrenzen.

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