13.01.2010
Aufgrund des Volksentscheids vom 29.11.2009 verbietet uns die schweizerische Bundesverfassung in Artikel 72, Abs. 3 den Bau von Minaretten, während Kirchtürme und andere sakrale Turmbauten weiterhin im Rahmen einer lokalen Baubewilligung errichtet werden dürfen.
Das Verbot an sich stellt die freie Kultuspraxis nicht zur Disposition. Das Minarett ist Produkt der architektonischen Entwicklung, zunächst in den bilad ash-sham (vor allem Syrien), während der Phase der islamischen Expansion. In der wissenschaftlichen Literatur existieren verschiedene Thesen, wozu diese Türme errichtet wurden. Eine These tendiert dahin, Minarette als Leuchttürme zu interpretieren, was in etymologischer Kongruenz zu einem der drei gängigen arabischen Begriffen steht: manara (arab. Ort des Feuers, d.h. des Lichts). Eine andere These meint, dass die muslimischen Eroberer den unübersehbaren Kirchtürmen der syrischen Christen ein äquivalentes Symbol entgegenstellen wollten, um die neue Realität, sprich die Präsenz des Islams, ostentativ zur Schau zu stellen. Freilich lässt sich nachweisen, dass der adhan (arab. Gebetsruf), seit es Minarette gibt, von diesen herab ausgerufen wurde. Diese kulturell bedingte Entwicklung macht das Minarett aber noch lange nicht zum Kult. Kultusqualität kann nur beanspruchen, was sich auf die islamische Normativität, d.h. auf den Qur’an oder die authentische Prophetentradition (Sunna) zurückführen lässt. Während im Qur’an jeglicher Hinweis auf das Minarett fehlt, mangelt es in der Prophetentradition an einer klaren Spezifizierung des Begriffs manara. Ausserdem gibt es keine frühislamische Quelle, die die Existenz eines Minaretts, in der Art der heute üblichen Bauten, zu Lebzeiten des Propheten (saws) belegen würde. Aus der Prophetenvita (Sira) entnehmen wir, dass Bilal – N.B. der erste Muezzin – jeweils von einer nur leicht erhöhten Plattform auf dem Dach der Moschee zum Gebet rief.
Davon unabhängig handelt es sich um eine baurechtliche Diskriminierung der Schweizer Muslime. Dass eine solche Diskriminierung ganz im Sinne seiner etymologischen Wurzel discernere (lat. unterscheiden) vorliegt, kann auch von den Minarettgegnern nicht negiert werden. Ausserdem dürfte der neue Absatz klar mit dem Art. 8, Abs. 1-2 BV (Rechtsgleichheit) konfligieren.
Der Islamische Zentralrat (IZR) betrachtet das Minarettverbot als eine problematische Diskriminierung der Schweizer Muslime und als eine Erosion fundamentaler demokratischer Werte wie der Religionsfreiheit und der Rechtsgleichheit. Trotz dieser Bedenken hat bislang keine muslimische Gemeinschaft den Rechtsweg beschritten, um eine Klärung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) herbeizuführen.
Dabei wäre der juristische Weg vergleichsweise einfach: Bei einem bestehenden oder geplanten Moscheebau könnte ein separates Baugesuch für ein Minarett eingereicht werden. Die Gemeinde müsste dieses auf Grundlage des geltenden Verbots ablehnen, woraufhin der Fall durch die nationalen Instanzen geklagt werden könnte. Nach einem abschließenden Urteil des Bundesgerichts wäre der Weg zum EGMR offen.
Der Islamische Zentralrat ist bereit, eine solche Klage aktiv zu unterstützen, um eine rechtliche Überprüfung des Minarettverbots auf europäischer Ebene zu ermöglichen.
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