
Bern, 09.05.2012
Von Nicolas A. Blancho
Am 27. April protestierten mehrere hunderttausend Muslime in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba friedlich gegen den Versuch des Staates einen regierungsfreundlichen Diskurs mit Hilfe der «importierten» Ahbasch-Sekte über die muslimischen Gemeinschaften (34% der Äthiopier sind Muslime) zu etablieren. Durch die Eingliederung der aus dem Libanon stammenden geistlichen Führer und Anhänger der Ahbasch-Sekte in den hohen Rat für islamische Angelegenheiten versucht sich das Regime von Premier Meles Zenawi in die inneren Angelegenheiten der religiösen Gemeinschaften einzumischen und setzt sich damit über die Köpfe der muslimischen Gemeinschaft hinweg. Der Regierung geht es darum, die Definitionshoheit über den Islam im hungergeplagten Land zu erlangen, um damit eine gewisse lenkbare ideologische Gleichschaltung der Muslime zu erreichen. Es wurde versucht den Muslimen in Äthiopien eine Anhängerschaft zum «Wahhabismus» anzuhängen, um damit das «Empowering» der aus dem Ausland eingeführten Imame zu rechtfertigen. Dagegen wehren sich nun die Gmeinschaften schon seit einigen Monaten. Nun kam es zur grossen Protestaktion.
Die traditionellen Führer der muslimischen Gemeinschaften werfen dem Regime vor, gegen die Verfassung zu verstossen, in der verordnet sei, dass der Staat sich nicht in religiöse Angelegenheiten einmischen dürfe. Obwohl der Premier vorletzte Woche vor dem Parlament mit der Aussage: «Wir haben kein Recht uns in Angelegenheiten der Kirchen und der Moscheen einzumischen», seine Glaubwürdigkeit zu wahren versuchte, schien die Haltung der Sicherheitskräfte gegen die friedlichen Demonstranten alles andere als diesen Worten zu entsprechen. Die gewaltsame Repression der Staatshüter forderte an diesem Tag sieben Todesopfer, die Demonstranten zeigten sich schockiert: «All das, was ihr heute seht, ist das Resultat einer langen Unterdrückung der äthiopischen Muslime», sagte Haji Abdurrahman Sadeq, einer der Demonstranten. Auch die religiösen Führer der äthiopischen Muslime sehen in den Aussagen Zenawis nur einen strategischen Schachzug, um zu den Vorfällen schweigen zu können.
Zustand ist inakzeptabel
Der Problemherd brodelt in der Tat schon längerem vor sich hin. Nun hat sich die Lage mit dieser neuen Gewaltspirale gegen friedliche Demonstranten massiv verschärft und schlägt höhere Wellen. Auch der arabische Nachrichtenkanal Al-Jazeera wurde auf die unangemessene Gewalt in Äthiopien aufmerksam. In einer Sendung vom 30.04.2012 nahm Dr.Yusuf Al-Qardhawy dazu Stellung. Er bezeichnete die Ahbasch als irregegangene Sekte und es sei inakzeptabel, dass eine Gruppe aus dem Ausland «importiert» werde, um dann über die ortsansässigen Muslime zu bestimmen, vielmehr sollte die Regierung mit ihren äthiopischen Muslimen ins Gespräch kommen.
Demokratie?
Was sich in Äthiopien abspielt, scheint im Kern viele Ähnlichkeiten mit den Versuchen einer von der muslimischen Gemeinschaft abgekoppelten Etablierung diskursiver Hoheit in anderen Ländern aufzuzeigen. Eine Gruppe dem Staat genehmer Muslime wird instrumentalisiert und dafür verwendet den Diskurs des Regimes durch ihre zustimmenden Auftritte zu stabilisieren. Dass sich Muslime dagegen zur Wehr setzen, ist ihr Grundrecht, wofür sie im «demokratischen» Äthiopien mit ihrem Leben bezahlen müssen. Die internationale Gemeinschaft schweigt. Die Medien gleichfalls.