Der Islamische Zentralrat Schweiz (IZRS) nimmt vom Verdikt der Schweizer Stimmbevölkerung Kenntnis. Offenbar ist es nach dem Minarett-Verbot von 2009 erneut gelungen, islamophobe Reflexe der Mehrheitsgesellschaft politisch erfolgreich zu instrumentalisieren.
Kommuniqué 07032021 – 0176
Jeder Versuch, das heutige Abstimmungsergebnis von seiner islamophob motivierten Provenienz gesondert zu deuten, ist ein Versuch, die gesellschaftliche Islamophobie zu relativieren. Es besteht kein Zweifel, dass sich die Grundeinstellung der Stimmbevölkerung seit der Minarett-Abstimmung 2009 nicht verbessert hat.
Der heutige Entscheid reisst alte Wunden auf, baut das Prinzip der Rechtsungleichheit weiter aus und sendet ein deutliches Signal der Exklusion an die muslimische Minderheit.
Radikalisierung der Islamophobie
Überraschend kommt das Resultat nicht. So glaubwürdig und kompetent der Bundesrat den Abstimmungskampf geführt hat, so sehr vernachlässigte er das Phänomen der sich radikalisierenden gesellschaftlichen Islamophobie und begnügte sich seit 2015 damit, verstärkt Radikalisierungstendenzen unter Muslimen zu bekämpfen, ohne dem interdependenten Charakter der Radikalisierung Rechnung zu tragen. Zahlreiche Studien und journalistische Erzeugnisse haben längst nachgewiesen, dass gerade bei französichen IS-Sympathisanten des Gefühl der Diskriminierung, u.a. im Nachgang an das Niqâb-Verbot, zu ihrer Radikalisierung beigetragen hatte.
Das Verbot wird auch in der Schweiz kaum dazu beitragen, Radikalisierungstendenzen – sei es in muslimischen Milieus – oder auf Seiten der Rechtsnationalen abzuschwächen. Es ist vielmehr damit zu rechnen, dass der erneute Erfolg weiteres Wasser auf die Mühlen des Egerkinger Komitees schüttet. Dessen Vorstand hat weitere Angriffe auf die muslimische Minderheit und ihre freie Religionsausübung bereits in Aussicht gestellt.
Der Islamische Zentralrat erwartet von der Landesregierung ein Umdenken gefolgt von flankierenden Massnahmen zum Schutz der muslimischen Minderheit. Abwarten und Zusehen wie die Schweizer Bundesverfassung zu einem widersprüchlichen und diskriminierenden Zeugnis für den Schweizer Volkszorn gegen den Islam verkommt, kann nicht im Interesse unseres Landes sein.
Rechtliche Schritte
Der Islamische Zentralrat geht davon aus, dass das Verbot bis zur Legiferierung kantonaler Ausführungsgesetze nicht durchgesetzt werden kann. Bis dahin ändern sich für Musliminnen, die Niqâb tragen nichts. Für den Fall, dass es danach tatsächlich zu Sanktionierungen kommen sollte, hat der IZRS einen Spendenpool zum Schutz der Religionsfreiheit eröffnet. Betroffene Musliminnen können sich, sollten sie gebüsst werden, an uns wenden. Bis zur Ausschöpfung der Ressourcen, werden wir die Bussen bezahlen und darüber hinaus mittels Musterprozessen die Verfassungstauglichkeit der jeweiligen Ausführungsgesetze prüfen lassen.
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