Der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) erachtet die Gefährdungslage der Schweiz vor dem Hintergrund der territorialen Expansion des IS als «erhöht». Grund genug, findet Bundesrat Ueli Maurer, über die Förderung eines «aufgeklärten Islams» nachzudenken. Droht auch der Schweiz ein Kulturkampf unter dem Deckmantel des Anti-Terror Kriegs?
(qi) Der aktuelle Bericht zur Lage der inneren Sicherheit setzt den diesjährigen Schwerpunkt auf anhaltende Konflikte in der islamischen Welt und damit verbunden auf die sogenannten Jihad-Reisen. Der Nachrichtendienst des Bundes sieht im «Phänomen der dschihadistisch motivierten Reisebewegungen ein gravierendes Sicherheitsproblem auch für westliche Staaten, inklusive die Schweiz». Demnach könnten «indoktrinierte, ausgebildete und kampferfahrene Dschihadisten in Europa vermehrt Anschläge verüben». Allerdings gelte für die Schweiz die Annahme, dass nur eine «relativ kleine Anzahl» Personen im Bereich des «Dschihadismus» aktiv sei. Dabei handle es sich «vor allem um psychisch instabile, orientierungslose, mehrheitlich männliche Jugendliche mit unbefriedigenden Zukunftsperspektiven».
Die ergriffenen und noch zur Debatte stehenden legislativen Massnahmen könnten jedoch, wie die Anschläge in Paris und Kopenhagen Anfang 2015 gezeigt hätten, keine absolute Sicherheit versprechen. Neben dem staatlichen Repressionsrepertoire könnte «zu einem wesentlichen Teil die Widerstandsfähigkeit der muslimischen Gemeinschaften in den Ländern Europas dazu beitragen, dem Einfluss dschihadistischer Propaganda und dschihadistisch motivierten Gewalttaten vorzubeugen.»
«Integration» und «aufgeklärter Islam»
Der Abschnitt «konkrete Massnahmen zur Bekämpfung» kommt augenfällig mager daher. Neben den Verboten des IS und Al-Qaidas und der genannten «Widerstandsfähigkeit der muslimischen Gemeinschaften» bleibt nur noch der abschliessende Verweis auf «Integrationsmassnahmen», welche einen zentralen Beitrag leisteten, «um zu verhindern, dass Angehörige muslimischer Gemeinschaften ausgegrenzt werden, was einer Radikalisierung entgegenwirkt.»
In Verbindung mit BR Ueli Maurers eigentümlicher Empfehlung nach Förderung eines nicht näher definierten «aufgeklärten Islams» entsteht der Eindruck, dass der Staat aller Verpflichtung zur religiösen Neutralität zum Trotz im Rahmen seiner Integrationspolitik darauf abzielt, für eine gewisse, ihm genehme Leseart des Islams Partei zu ergreifen.
Diese Rhetorik erinnert an den von neokonservativen Politanalysten im Umfeld der Bush-Regierung nach dem 11. September losgetretenen «Battle for the Hearts and Minds», welcher 2007 mit der Publikation des RAND-Berichts «Building Moderate Muslim Networks» vorläufig seinen hässlichen kulturkämpferischen Höhepunkt erreicht hatte. Der RAND-Bericht reduzierte die komplexe Welt des islamischen Denkens entlang den Bedürfnissen der US-Aussenpolitik auf «moderate» und «extremistische» Ansätze.
Sätze von BR Ueli Maurer wie: «Die westlichen Gesellschaften, aber auch die muslimischen Länder werden deshalb in den nächsten Jahren Strategien entwickeln müssen, um gemeinsam die Radikalisierung zu stoppen und einen aufgeklärten Islam zu fördern», kündigen relativ unverhohlen die Absicht an, den westlichen Einfluss auf das islamische Denken auch in der Schweiz weiter auszubauen.
Was dies im Einzelnen konkret heissen mag, lässt sich an aktuellen Kampf-Debatten um Kopftücher, Niqabs oder Muhammad-Karikaturen erahnen. Als «integriert» darf gelten, wer den Islam durch die Optik des westlich-modernen Aufklärungsparadigma liest und praktiziert: individualistisch und losgelöst von seiner Normativität, während gemäss Lamya Kaddor, die übrigens bereits in Genuss entsprechender Fördermassnahmen der Konrad Adenauer Stiftung gekommen ist, das fünfmalige Beten statt dem Diskobesuch ein Anzeichen für «Radikalisierung» darstellen kann.