Schätzungsweise 1,57 Milliarden Muslime leben weltweit, gut die Hälfte davon sind Frauen. Ein riesiger Markt, den Nike wohl mit seinem neuen „Sport-Hijab“ zu erschliessen sucht und ihn pünktlich zum sogenannten Welttag der Frau der Öffentlichkeit vorgestellt hat. Janina R. fragt, ob muslimische Frauen auf diesen Markteintritt Nikes gewartet haben.

Von Janina R.

Für muslimische Frauen, die sich permanent öffentlichen Debatten, nicht nur aber auch hinsichtlich ihrer Bekleidung ausgesetzt sehen, stellt sich die Frage, was von Nikes kleiner „Revolution“ zu halten ist.

Sind wir einmal ehrlich: Dass ein Sportartikelhersteller, der sich seit Jahren im harten Konkurrenzkampf um die Position des Marktführers befindet, im 53. Jahr seines Bestehens ganz plötzlich die muslimische Frau als Sportlerin entdeckt und in seinem Werbespot suggeriert, welch innovative Wirkung gerade sein Produkt auf muslimische Frauen haben wird, die nun endlich befreit und im knall engen Sportdress, aber mit stoffumhüllten Kopf (auf dem natürlich unübersehbar das Nike-Logo prangt) durch die Botanik sprinten und über das Eis der Eislaufhalle gleiten können, hinterlässt doch einen reichlich schalen Beigeschmack.

Wer genau hinsieht, wird schnell merken, dass Nike‘s Revolution nicht einmal ein „Revolutiönchen“ ist. Seit Jahren verkaufen etablierte muslimische Marken Sportbekleidung, die speziell auf die Bedürfnisse muslimischer Frauen zugeschnitten und dabei nicht nur bequem, funktional und visuell ansprechend ist, sondern auch jene Regeln einhält, die sich aus der islamischen Normativität ableiten – ein wichtiger Aspekt, dem Nike offenbar keinerlei Bedeutung beigemessen hat.

Wäre die Firma an einer ernsthaften Auseinandersetzung mit dem Thema Hijab interessiert gewesen, so wäre sie in dem Jahr, welches sie nach eigenen Angaben für die Entwicklung des Materials gebraucht hat, wohl auch über die Tatsache gestolpert, dass das blosse Abdecken des Kopfes mit einem badekappenähnlichen Stofffetzen nur rudimentär an die Kriterien des islamischen Hijabs anknüpft.

Doch es geht um mehr als den Versuch der blossen Kommerzialisierung eines religiösen Gebotes:

Während Londoner Firmen ihre weiblichen Angestellten vertraglich dazu zwingen, stets adrett geschminkt und auf 5-10cm hohen Higheels ihrer Arbeit nachzugehen und ganz nach dem Motto „sex sells“ mittlerweile sogar Kaugummis mit spärlich bekleideten Frauen beworben werden, ist der Hijab für viele muslimische Frauen – abgesehen von der Tatsache, dass er ein religiöses Gebot ist, weswegen sie ihn befolgen – auch eine Antwort auf die (sexuelle) Objektivierung des weiblichen Körpers in der Gesellschaft.

Diese Anliegen wird ad absurdum geführt, wenn Dolce&Gabbana die Models in seiner Hijab-Kollektion über den Präsentierteller Laufsteg jagt oder sich weibliche Prominente auf den Social Media Plattformen mit verführerisch geschminkten Augen und einem reichlich verzierten Schleier vor dem Gesicht darstellen, um tausendfache Bewunderungsrufe ob ihrer Schönheit durch Fans und Follower einzusammeln. Dem gegenüber stehen nämlich muslimische Frauen, welche sich tagtäglich mit Diskriminierung aufgrund ihrer Kleidung und diesbezüglichen Verboten auseinandersetzen müssen.

Während Nike-Kappen als Mode-Accessoire gefeiert werden, gelten all jene Muslimas, welche sich aus religiöser Überzeugung für den Hijab entschieden haben, weiterhin als Sinnbild der unterdrückten Frau.

Dieses vermeintliche Paradoxon bildet genau das ab, was die Forschung heute als „Gendered Orientalism“ bezeichnet: eine Tradition von westlichen Beschreibungen muslimischer Frauen in der Kunst und Literatur, die seit langem vor allem zwei unterschiedliche Bilder kennt, nämlich das der unfreien und bevormundeten Frau oder das der stets verfügbaren Verführerin in einer Welt der sexuellen Ausschweifungen und Phantasien.

Es braucht keinen Sport-Hijab von Nike und keine Abayas von Dolce&Gabbana. Was es braucht, ist Respekt gegenüber muslimischen Frauen und die Erkenntnis, dass nicht der Islam und unsere Kleider, sondern Intoleranz und Bevormundung uns daran hindern, unsere Potentiale voll auszuschöpfen.

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