Bern, 04.09.2010
Kommentar zu Artikel in der NZZ, „Biel, eine Stadt und ihre Muslime“
Von Abel Azziz Qaasim Illi
Die NZZ, bekannt für ihre Ausgewogenheit, dafür dass sie auch emotionale Themen nüchtern und aus gehöriger journalistischer Distanz aufarbeitet, publizierte in ihrer Samstag-Ausgabe vom 04.09.2010 den Artikel «Biel, eine Stadt und ihre Muslime» von Matthias Daum. Konzeptionell nichts Innovatives – erschien doch im Sonntagsblick Magazin vom 11.Juli bereits der viel umfassendere Artikel «Mekka im Seeland» mit zeitgenössischen Märchen aus der sagenumwobenen Stadt am «Jurasüdfuss».
Daums Kronzeugin ist eine Kurdin, die sich offenbar derart «diffus» bedroht fühlt, dass sie nicht einmal mit ihrem Namen die Behauptungen – Hörensagen das schon seit Monaten von diversen Medien immer wieder rezykliert wird – vertreten kann. Für Daum, der gerne mit Verweisen auf «Statistiken» operiert, eine optimale Ausgangslage. Er extrapoliert ihre persönliche Meinung umgehend auf die «die Mehrheit der rund 5000 Muslime in der Stadt». Demnach sind «alle Moscheen radikal», Muslimsein eine Konstante, die durch die Kultur unverrückbar gesetzt wird und religiöse Praxis in der Gemeinschaft kein Wert.
Ohne Anhörung verurteilt
Fünfmal fällt der Name Blancho, dreimal jener des Islamischen Zentralrates, ohne dass sich Daum auch nur ansatzweise die Mühe gemacht hätte, den Besprochenen die Möglichkeit einzuräumen, sich gegen die zahlreichen stereotypen Sagen zu äussern, die er auf einem Raubzug durch die Medienlandschaft erbeutet hatte. Die bewährte römische Maxime: Iudex reum ne prius condemnato, quam eum audiverit (Ein Richter soll einen Angeklagten nicht eher verurteilen, als er ihn angehört hat), sollte einem ehemaligen Geschichtsstudenten nicht unbekannt sein. Doch um Tatsachen ging es dem Autoren offensichtlich nicht. Der Artikel konstruiert in Biel ein Klima des Unfriedens, der Angst und des Dissenses, das so nicht existiert. Wenn eine junge Kurdin aus politisch-opportunistischen Gründen nicht zu ihren Aussagen stehen will, heisst das noch lange nicht, dass sie dies nicht darf. Wenn unter den Muslimen nicht in allen Belangen vollständige Einigkeit herrscht, bedeutet das noch lange nicht, dass es «Höllen-Lämpe» gibt, sondern ist vielmehr Ausdruck eines gelebten islamischen Pluralismus, den der Islamische Zentralrat N.B. nie in Frage gestellt, sondern gar konzeptionell internalisiert hat.
Fachlich schwach und schlecht recherchiert
Auch fachlich schleudert Daum mit Ungenauigkeiten um sich, die nicht gerade von einer vertieften Auseinandersetzung mit der Thematik zeugen. «Haram» wird mit «unrein» übersetzt. Tatsächlich heisst es «verboten» oder je nach Vokalisierung auch «heilig», also besonders schützeswert, wie z.B. die Ka’ba in Mekka. Aus der nordafrikanischen Schaffhauser Familie, die vor einiger Zeit nach Biel gezogen war, wird eine «Konvertiten-Familie».
Der Artikel evoziert beim Leser fast unwillkürlich das Gefühl eines abenteuerlichen Reiseberichtes in schwer zugängliche oder besonders gefährliche Gebiete. In den engen Gassen weht dem mutigen Abenteurer ein würziger, schwer einschätzbarer Duft entgegen – die Angst ein ständiger Begleiter. Alle Interviewpartner geben sich bedeckt. Schliesslich steht ihnen «die Furcht ins Gesicht geschrieben». Mysteriöse Fundamentalisten regieren das ganze Gebiet. Deren «Machtanspruch» in Frage zustellen – ein äusserst «gewagtes» Unterfangen.