Das Kopftuch für die einen, der Hijab für die anderen steht im Brennpunkt gesellschaftlicher Debatten um Integration und Frauenrechte auf der einen und Kultus- sowie Freiheitsrechten auf der anderen Seite . Dieser Artikel zeigt auf, wie sehr das Stück Stoff in der islamischen Normativität verankert ist und deshalb auch im Zuge einer hitzigen Wertedebatte nicht einfach abgelegt werden kann.
Von Nora Illi | @norailli folgen |
Das Stück Stoff, unter welchem muslimische Frauen ihre Haare und Körperformen verbergen, sorgt immer wieder für hitzige Debatten. Dies aus dem einfachen Grund, dass der Hijab einer Muslima viel mehr ist, als ein blosses Modeaccessoire. Er ist ein fester Bestandteil des islamischen Kultus. Im Qur’an und in der Prophetentradition ist die Verschleierung mehrmals erwähnt. Für praktizierende Muslime ist es selbstverständlich, dass sie sich an den islamischen Normen orientieren:
«Und es ziemt sich nicht für einen gläubigen Mann oder eine gläubige Frau, dass sie – wenn Allah und Sein Gesandter eine Angelegenheit beschlossen haben – eine andere Wahl in ihrer Angelegenheit treffen. Und der, der Allah und Seinem Gesandten nicht gehorcht, geht wahrlich in offenkundiger Weise irre.» [Übersetzung des HQ 33;36]
Um ein Gesamtbild über die Verschleierung im Islam zu erhalten, sollten die Quellen des islamischen Wissens – der Qur’an und die Sunna (Prophetentradition, Aussprüche des Propheten) – studiert werden. In beiden wird der Hijab unzweifelhaft genannt. Dass es sich beim Hijab um ein unangezweifeltes Konzept innerhalb der islamischen Rechtsgelehrsamkeit handelt, bezeugt die 1400 Jahre konsistente Rechtstradition. Es gibt keine einzige Überlieferung eines Rechtsgelehrten, der es je für nötig gehalten hätte, den Pflichtcharakter des Hijabs gegenüber einem vermeintlichen Zweifler nachdrücklich zu begründen. Der Hijab wurde erstmals Ende des 19. Jh. im Zuge der europäischen Kolonialisierung Nordafrikas unter arabischen Säkularisten und Europabegeisterten in Frage gestellt.
Quellen aus dem Qur’an
Fälschlicherweise wird immer wieder behauptet, dass das Wort «Hijab» im Qur’an nicht verwendet werde. Doch im Qur’an ist die Pflicht der Bedeckung und was sie beinhaltet mehrmals erwähnt. In den grossen anerkannten Tafasir (Exegesen) kann nachgelesen werden, in welchem Kontext diese Verse offenbart wurden. Auch das Wort «Hijab» wird mehrmals verwendet.
«O ihr, die ihr glaubt! Betretet nicht die Häuser des Propheten, es sei denn, dass euch zu einer Mahlzeit (dazu) Erlaubnis gegeben wurde. Und wartet nicht (erst) auf deren Zubereitung, sondern tretet (zur rechten Zeit) ein, wann immer ihr eingeladen seid. Und wenn ihr gespeist habt, dann geht auseinander und lasst euch nicht aus Geselligkeit in eine weitere Unterhaltung verwickeln. Das verursacht dem Propheten Ungelegenheit, und er ist scheu vor euch, jedoch Allah ist nicht scheu vor der Wahrheit. Und wenn ihr sie (seine Frauen) um irgend etwas zu bitten habt, so bittet sie hinter einem Hijab [Vorhang]. Das ist reiner für eure Herzen und ihre Herzen. Und es geziemt euch nicht, den Gesandten Allahs zu belästigen, noch (geziemt es euch,) seine Frauen jemals nach ihm zu heiraten. Wahrlich, das würde vor Allah eine Ungeheuerlichkeit sein.» [Übersetzung des HQ 33;53]
In der unterstrichenen Passage sind mit dem Pronomen «sie» die Gattinnen des Propheten gemeint. Auch in diesem Zusammenhang ist das Wort «Hijab» mit Vorhang übersetzt. Hier hat der Vorhang aber den Zweck, dass die Frauen des Propheten hinter ihm geschützt sind. Sie sind nicht den Blicken der Männer ausgesetzt. Der Hijab soll auch dem Schutz dienen.
In der vorislamischen Zeit wurden die Frauen oft nicht ihrer Würde entsprechend behandelt. Oft kleideten sie sich leicht und stellten ihre Reize zur Schau.
Der Hijab soll der Frau Schutz vor Blicken sein und ihre Würde schützen. Das sich die Muslima bedeckt kleiden soll können wir auch diesem Koranvers entnehmen:
«[…] stellt euch nicht zur Schau wie in der Zeit der früheren Unwissenheit.» [Übersetzung des HQ 33;33]
Mit der Zeit der früheren Unwissenheit ist die vorislamische Zeitperiode, die «Jahiliyya» gemeint.
«O Prophet! Sprich zu deinen Frauen und deinen Töchtern und zu den Frauen der Gläubigen, sie sollen ihre Jalabib [Überwürfe] reichlich über sich ziehen. So ist es am ehesten gewährleistet, dass sie erkannt und nicht belästigt werden. Und Allah ist Allverzeihend, Barmherzig.» [Übersetzung des HQ 33;59]
Im Arabischen steht das Wort Jalabib (pl. von Jilbab), das im Deutschen mit Überwürfe übersetzt wird. Im Tafsir von Yusuf Ali wird das Wort Jilbab als ein langes Gewand übersetzt, das den ganzen Körper bedeckt, den Kopf, den Hals und die Brust. [Vgl. Tafsir Yusuf Ali zur HQ, 33;59]
Die Aufforderung, den Überwurf über sich herunterzuziehen, bezieht sich auf den Kopf, Hals und die Brust respektive nach Auffassung einiger Gelehrte auch auf das Gesicht.
«Und sprich zu den gläubigen Frauen, dass sie ihre Blicke zu Boden schlagen und ihre Keuschheit wahren und ihren Schmuck nicht zur Schau tragen sollen – bis auf das, was davon sichtbar sein darf, und dass sie ihre Khumur [Tücher] um ihre Kleidungsausschnitte schlagen und ihren Schmuck vor niemand enthüllen sollen als vor ihren Gatten oder Vätern oder den Vätern ihrer Gatten oder ihren Söhnen oder den Söhnen ihrer Gatten oder ihren Brüdern oder den Söhnen ihrer Brüder oder Söhnen ihrer Schwestern oder ihren Frauen oder denen, die sie von Rechts wegen besitzen, oder solchen von ihren männlichen Dienern, die keinen Geschlechtstrieb mehr haben, und den Kindern, die der Blösse der Frauen keine Beachtung schenken. Und sie sollen ihre Füsse nicht so auf den Boden stampfen, dass bekannt wird, was sie von ihrem Schmuck verbergen. Und wendet euch allesamt reumütig Allah zu, o ihr Gläubigen, auf dass ihr erfolgreich sein möget.» [Übersetzung des HQ 24;31]
Das hier als Tücher übersetzte Wort steht im Qur’an als «Khumur», (pl. von Khimar). Es war auch vor der Offenbarung des Qur’ans für Frauen üblich, ein Kopftuch zu tragen. In historischen Quellen ist nachzulesen, dass der Khimar in der vorislamischen Zeit den gesamten Kopf die Ohren, die Haare und den Nacken bedeckte. Nun soll dieser noch zusätzlich über den Brustschlitz gezogen werden.
Quellen aus der Sunna
Die zweite Quelle des islamischen Wissens ist die Sunna, welche für die Muslime auch verbindlich ist. Im Qur’an wird darauf hingewiesen, dass wir auf die Worte des Propheten (saws) hören sollen und er uns das beste Beispiel ist:
«Wir haben sie (die Propheten) gesandt mit den klaren Beweisen und den Büchern der Weisheit. Und Wir haben zu dir die Ermahnung hinab gesandt, damit du den Menschen klar machst, was ihnen offenbart worden ist und auf dass sie nachdenken mögen.» [Übersetzung des HQ 16;44]
In den folgenden Beispielen wird aufgezeigt, wie sich die Frauen gekleidet und verhalten haben und wie der Prophet Muhammed (saws) ihnen dies lehrte.
Safiya bint Shaiba (r) sagte: Aisha (r) erzählte, dass nachdem der Vers 24:31 offenbart wurde, die Frauen ihre Gewänder unten an den Ecken kürzten und mit diesen geschnittenen Stoffstücken ihre Köpfe und Gesichter bedeckten. [Bukhari / Abu Dawud]
Die Frau des Propheten (saws), Umm Salama (ra), sagte: «Als der Vers 24, der Sure Al Nur herabgesandt wurde, gingen die Frauen der Ansar hinaus, als ob sie Krähen auf ihren Köpfen hätten, aufgrund ihrer äusseren Bekleidung.» [Bukhari]
Aisha (r) erzählte: «Während der Hajj kamen uns andere Kamelreiter entgegen, während wir im Zustand des Ihram waren und von Muhammad (saws) begleitet wurden. Und als sie uns gegenüber waren, hat jede von uns Frauen in der Gruppe ihren Jilbab über das Gesicht gezogen und ihn wieder gehoben, nachdem sie an uns vorbeigezogen waren.» [Ahmed / Abu-Dawud / Ibn Majah]
Es kam ein Begleiter zu dem Propheten (saws) und sagte: «Fatima sagte die besten Frauen sind die, welche selbst die Männer nicht ansehen und welche die Männer nicht betrachten können.» Darauf antwortete Muhammad (saws): «Fatima ist ein Teil von mir.» [Muslim / Abu-Dawud]
Damit meinte er, dass er dasselbe wie Fatima sagen würde und ihre Worte wahr sind.
Urwah erzählte, dass Aisha (ra) sagte: «Der Gesandte Allahs (saws) betete das Morgengebet und die gläubigen Frauen beteten mit ihm. Sie waren in ihre Umhänge gewickelt und als sie in ihre Häuser gingen, konnte sie niemand erkennen.» [Bukhari / Muslim]
Anhand dieser wenigen Beispiele wird bereits klar, dass der Hijab in den islamischen Quellen eine feste Fundierung geniesst. Darüber hinaus galt und gilt er in der gesamten islamischen Rechtsgeschichte ohne jeden Zweifel als Selbstverständlichkeit. Einzig seit dem Export säkularer Ideen der europäischen Moderne im 19. Jh. kam es auch in der islamischen Welt vereinzelt zu Diskussionen über den Hijab. Diese Debatten vermochten weder seiner sozialen Realität einen Abbruch zu tun und noch weniger änderten sie dessen normative Verankerung. Neu ist einzig, dass sich in den meisten muslimischen Ländern die Option dazu gesellt hat, sich für eine individuelle Lebensweise auch entgegen islamischer Normen zu entscheiden. Ob sich nun eine Frau dazu entscheidet, sich zu verschleiern, liegt neuerdings in ihrer ganz persönlichen Verantwortung. Es ist eine Vereinbarung zwischen ihr und Allah, die nur sie alleine schliessen kann.