Diskussion um den Hijab im Krienser Kindergarten
Diskussion um den Hijab im Krienser Kindergarten

Der Islamische Zentralrat nimmt mit Interesse Kenntnis von der Diskussion um die muslimische Aushilfs-Kindergärtnerin in Kriens (LU), die wegen ihres «Kopftuchs» in die lokalen Schlagzeilen geriet.

Kommuniqué 14062013-0070

Keine rechtliche Grundlage für ein Verbot

Die öffentliche Diskussion verweist im Falle von Lehrpersonen oder wie im aktuellen Beispiel bei Kindergärtnerinnen muslimischen Glaubens, die den Hijab (Kopftuch) auch im Unterricht tragen immer sofort auf das Bundesgerichtsurteil in der Causa Lucia Dahlab/Kanton Genf BGE (123 I 296) von 1997. Doch bei genauerem Hinschauen handelt es sich beim besagten Bundesgerichtsentscheid um eine spezifische Antwort in einem spezifischen Fall. Genf ist nämlich neben Neuenburg der einzige streng laizistische Kanton der Schweiz. Er kannte in den 90er Jahren bereits eine gesetzliche Grundlage, die verlangt, dass Schule und Lehrer frei von jeglichen Hinweisen auf eine religiöse Orientierung sein müssen. In der Folge stützte das Bundesgericht sein Urteil auf ebendiese bestehende Rechtsgrundlage. Die kleine Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) bestätigte das Urteil (42393/98) 2001 – jedoch nur in seiner Spezifität.

Dass es sich keineswegs um eine universal gültige Rechtspraxis handelt, zeigt der jüngste EGMR-Entscheid vom 8.03.2011 (30814/06). Die grosse Kammer wies eine Beschwerde aus Italien ab, die die Ansicht vertrat, dass ein Kruzifix im Klassenzimmer die weltanschauliche Neutralität der Schule kompromittiere und Schüler in ihrer religiösen Überzeugung beeinflussen könnte.

Die meisten europäischen Rechtsexperten sind sich heute einig, dass dabei nicht von einer eigentlichen Änderung der Rechtspraxis beim EGMR auszugehen sei. Vielmehr müsse der jeweilige lokale Verfassungs- bzw. Gesetzeskontext in den Vordergrund gestellt werden.

Luzern ist kein laizistischer Kanton

Nicht nur fehlt in Luzern jegliche gesetzliche Grundlage, um Lehrpersonen das Tragen des islamischen Hijabs prinzipiell zu verbieten. Die Diskussion um Kruzifixe in Klassenzimmern von 2010 zeigte, dass im Kanton i.S. Religion und Schule verglichen mit Genf ein grundverschiedener Umgang herrscht. So sprachen sich im Nachgang an die öffentliche Debatte rund 12000 Personen im Rahmen einer Petition für den Verbleib der Kruzifixe in den Klassenzimmern aus.

Hijab tangiert die weltanschauliche Neutralität der Schule nicht

Der Staat muss seinen Bürgern gegenüber weltanschaulich, d.h. auch religiös neutral auftreten. Dies betrifft nicht nur die Beziehung Lehrer-Schüler, sondern auch die Beziehung Staat-Lehrer. So hat der Staat kein Recht, die Lehrerin an der Ausübung ihrer religiösen Pflichten zu hindern, sofern dafür weder eine Rechtsgrundlage noch ein dringendes öffentliches Interesse bestehen. Eine Lehrerin, die ihre Leistungen erbringt, sich an die Vorgaben des Lehrplans hält und keine Mission – sei dies nun religiöse, ideologische oder politische – im Klassenzimmer betreibt, widerspricht dem Anspruch der weltanschaulichen Neutralität der staatlichen Schule keinesfalls. Die Forderung nach weltanschaulicher Neutralität erstreckt sich ja nicht auf die persönlichen Überzeugungen einer Lehrperson, sondern nur auf Inhalte, die sie den Schülern vermittelt. Andernfalls müsste man Lehrern die freie Mitarbeit in Kirchen oder die aktive Partei-Politik konsequenterweise auch verbieten, sofern dadurch die Zugehörigkeit zu einer Weltanschauung öffentlich bekannt gemacht wird.

Das blosse Tragen eines islamischen Kopftuchs transportiert allenfalls die Botschaft, dass es sich bei der Lehrerin um eine Angehörige des muslimischen Glaubens handelt. Daraus eine Aufforderung zur Nachahmung abzuleiten bzw. ihr Beeinflussung zu unterstellen, ist absurd.

Hijab ist kein religiöses «Symbol»

Die Diskussion um den Hijab ist zudem nicht vergleichbar mit jener um religiöse Symbole, da es sich beim Hijab nicht einfach um ein religiöses Symbol handelt. Anders als bei Kreuzen und Davidsternen geht es dabei nicht bloss um die zeichenhafte Markierung der Glaubenszugehörigkeit. Aus der jeweiligen religiösen Normativität heraus gedacht, steht es auch streng praktizierenden Christen und Juden frei, ob sie nun ein Kreuz bzw. einen Davidstern um den Hals tragen oder ein solches Symbol an der Wand anbringen. Der Glaube verpflichtet sie jedenfalls nicht dazu.

Ganz anders im Falle einer muslimischen Frau. Der Hijab ist integraler Bestandteil des islamischen Kultus. Alle sunnitischen- wie schiitischen Rechtsschulen erachten das Tragen eines «Kopftuches» für Frauen ab der Pubertät als religiöse Individualpflicht. Ob ein freier Mensch Glaubenspflichten, die in keinster Weise in Widerspruch zur Rechtsordnung stehen, nachkommt oder sie vernachlässigt, darf aufgrund der verfassungsmässig garantierten Religions- und Kultusfreiheit nicht durch staatliche oder privatwirtschaftliche Regulative vorweggenommen werden. Ein Verbot des islamischen Hijabs kommt in jedem Fall einem gravierenden Eingriff in die Freiheitsrechte der Muslimin gleich und lässt sich in einer toleranten, freiheitlichen Gesellschaftsordnung nicht rational begründen.

Den Islam endlich als Teil der Gesellschaft respektieren

Immer wieder kommt es in der Schweiz zu Frontstellung gegen den Hijab. Die Motive dahinter sind in den meisten Fällen islamophob. Nicht das «Kopftuch» gilt es zu bekämpfen, sondern die Islamophobie in den Köpfen der Menschen. Der Islam ist heute eine soziale Realität in der Schweiz. Die Gesellschaft muss lernen, damit umzugehen. Es kann nicht sein, dass Musliminnen dauerhaft ihres Glaubens wegen aus der Gesellschaft ausgegrenzt werden. Dies widerspricht den Grundwerten der allseitigen Toleranz.

Ein säkularer Lebensstil ist nicht per se «neutral» und damit die Norm. Aus der Perspektive des religiösen Menschen ist das Säkulare auch nur eine neben vielen anderen Weltdeutungen. Gerade im katholischen Kanton Luzern, wo sich noch 2010 rund 12’000 Personen im Rahmen einer Petition für den Verbleib der Kruzifixe in den Schulzimmern ausgesprochen hatten, scheint das Religiöse eine durchaus wichtige und zu respektierende Kategorie zu sein.

Der Islamische Zentralrat steht mit der Betroffenen Kindergärtnerin zwecks Informationsabgleich in Kontakt. Im vorliegenden Fall handelt es sich um eine Schweizer Konvertitin. Die Tatsache, dass sie die Stelle mit Hijab antreten würde, war bereits beim Bewerbungsgespräch offen geklärt worden. Die Betroffene hat ihre Arbeit stets zur besten Zufriedenheit der Vorgesetzten und Eltern erfüllt. Zu keiner Zeit wurde der Hijab von Seiten der Eltern als problematisch erkannt. Der Fall geriet offenbar durch Denunziation einer aussenstehenden Person an die Medien. Die Motive jener mutmasslichen SVP-nahen Person bleiben unbekannt.
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