Die politisch motivierten Anschläge in Norwegen zeigen, wie sich Islamophobie in einer Gesellschaft als «potentiell tödliche Hysterie» niederschlagen kann. Wenn der Islamische Zentralrat mit einem Tag gegen Islamophobie und Rassismus die Öffentlichkeit stärker sensibilisieren möchte und mit einem «gelben Stern» auf die strukturellen Parallelen zum Antisemitismus des 19. und 20. Jahrhunderts aufmerksam macht, ist plötzlich Feuer im Dach. Statt sich auf den Kern des Phänomens «systematische Ausgrenzung» zu konzentrieren, mobilisiert eine jüdische Lobby zu einer makabren Verteidigung des gelben Sterns als «jüdisches Eigentum».
Von Hajji Oscar A.M. Bergamin
Bern, 18.09.2011
Es gibt den grünen Punkt, das gelbe Trikot, den roten Faden (aus der griechischen Mythologie), dann gibt’s die Gelben Seiten, wer aber als «Notschrei» sich dem gelben Stern bedient, um auf die Not einer diskriminierten Minderheit aufmerksam zu machen, kann ein blaues Wunder erleben. Auch wenn der Islamische Zentralrat für den «Tag gegen Islamophobie und Rassismus» vom 29. Oktober 2011 nicht den jüdischen Davidstern, sondern den achtzackigen muslimischen Stern als Corporate Design gewählt hat, ist eine Parallele nicht zu übersehen und auch bewusst so gewählt. Plötzlich verteidigen aber nicht nur jüdische Kreise, sondern vor allem islamophobe und besonders israel-freundliche und pro-zionistische Organisationen in Europa den gelben Stern, als wäre dieser ihr «persönliches Eigentum» und ein exklusives Symbol des Holocausts. Das ist ein historischer Irrtum. Der gelbe Davidstern mit dem Wort «Jude» wurde bereits in den Dreissigerjahren am «Reichsparteitag der Freiheit» in die Nürnberger Gesetze aufgenommen. Die Symbolik an und für sich hat eine lange Vorgeschichte, die schon weiter zurückreicht, als die am 14. Juli 1555 von Papst Paulus IV. veröffentlichte Bulle «Cum nimis absurdum», welche zur öffentlichen Ausgrenzung der Juden als «Christusmörder» aufrief. Jüdische Männer hatten gelbe Hüte zu tragen, Frauen gelbe Schals. Der grausame Holocaust markierte den Höhepunkt der 1933 begonnenen, öffentlich sichtbaren sozialen Ausgrenzung, Diskriminierung und Demütigung der jüdischen Minderheit. Juden wurden damit äusserlich erkennbar und mussten in der Öffentlichkeit jederzeit mit Schikanierungen und antisemitischen Angriffen rechnen. Viele verliessen ihre Wohnungen daher nur noch selten. Offene Drangsalierung und permanente Demütigung waren oftmals die Folge. Der gelbe Stern wurde eigentlich erst 1941 allgemein bekannt, als die – übrigens heute noch existierende – Berliner Fahnenfabrik Geitel und Co. innerhalb weniger Tage fast eine Million Judensterne lieferte. Ein ähnliches Symbol war der J-Stempel in offiziellen Dokumenten und Papieren wie Reisepässen, der auch in der Schweiz «noch vor September 1938 zu einem industriellen Stil der standardisierten und effizienten Diskriminierung» führte, wie der Schweizer Professor Georg Kreis in seinem Buch «Die Rückkehr des J-Stempels – Zur Geschichte einer schwierigen Vergangenheitsbewältigung» (Chronos Verlag, Zürich 2002) ausführt. Die Symbolik der systematischen Ausgrenzung hat, wie es im Klappentext des Buches von Kreis heisst, «drei Geschichten: eine Vorgeschichte, eine Nachgeschichte und eine Gegenwartsgeschichte». Die Geschichte der Gegenwart sei die wichtigste. Auf eben diese Geschichte der Gegenwart – unter der Bedingung des Wissens um die Vorgeschichte – möchte der IZRS mit dem Tag gegen Islamophobie und Rassismus nun hinweisen.
Vorarlberger Juden solidarisch mit den Muslimen in der Schweiz
Die systematische Ausgrenzung oder eben die in einem «industriellen Stil der standardisierten und effizienten Diskriminierung» von Muslimen findet in der Gegenwart statt. Der renommierte Historiker Wolfgang Benz (siehe Fussnote*1) und der Politologe Anton Pelinka (*2) weisen schon lange auf die Parallelen zwischen Antisemitismus und «Feindbild Islam» hin. In Hohenems, im an den Kanton St.Gallen grenzenden Vorarlberg (Österreich), setzt sich das Jüdische Museum neben der Tradition der landjüdischen Gemeinde Hohenems und deren vielfältige Beiträge zur Entwicklung der ganzen Region von Bregenz bis St. Gallen auch für die Anliegen der Muslime ein, weil es in Fragen der Zukunft der europäischen Einwanderungsgesellschaft viele Parallelen zwischen den Problemen der Muslime in Europa und der jüdischen Geschichte von Hohenems gebe. Zurzeit wird mit einer bis am 2.Oktober andauernden Sonderausstellung «Die Türken in Wien. Eine europäische jüdische Gemeinde» darauf aufmerksam gemacht. Darin wird gezeigt wie mit den osmanischen Eroberungen die sefardischen Juden – wie die Juden spanischer Herkunft genannt werden – unter «muslimischer Herrschaft» kulturell und wirtschaftlich blühende Gemeinden auf dem Balkan gründen konnten. Die Ausstellung bricht mit den gängigen im kollektiven Gedächtnis der Westeuropäer verhafteten Klischees und Vorurteilen sowohl gegenüber Juden als auch gegenüber Muslimen. Als Direktor des Museums waltet der Literatur- und Medienwissenschaftler Hanno Loewy, der ein Buch über «Gerüchte über die Juden, Antisemitismus, Philosemitismus und aktuelle Verschwörungstheorien» herausgegeben hat. Er hat die Kampagne um das Minarett-Verbot in der Schweiz offen und laut kritisiert: Die Grafik des berüchtigten Minarett-Plakats «erinnert mit diesen schwarzen Schatten stark an die dreissiger Jahre», sagt er noch heute. Über die SVP und die österreichische FPÖ sagt er: «Die Leute, die angeblich die Grundrechte dieser Gesellschaft verteidigen, stellen sie bei Andern zur Disposition. Sie selbst haben begonnen, die offene liberale Gesellschaft zu zerstören, die sie angeblich schützen wollen.»
Der IZRS sucht keine Konfrontation mit den Juden
Jean Paul Sartre hat in seinem noch unter deutscher Besatzung 1943 geschriebenen und nach der Befreiung von Paris veröffentlichten Essay eine ähnliche Meinung vertreten und die systematische Ausgrenzung einer Minderheit am Beispiel des Antisemitismus beschrieben und analysiert: «Der Antisemitismus sagt überhaupt nichts über ‚die Juden‘ aus, aber alles über die Antisemiten.» Ähnlich ist die Weltsicht zu sehen, die hinter dem Attentat von Oslo vom 22.Juli steht: «Der Islam» des Massenmörders Anders Behring Breivik, ist ein Konstrukt wie «das Judentum» – und nicht die Realität. Der IZRS sucht keine Konfrontation mit den Juden. Dennoch versucht eine kleine jüdische Lobby, unterstützt von extrem pro-zionistischen und pro-israelischen Organisationen in der Schweiz und in Europa gegen die Parallelisierung von Antisemitismus und Islamophobie mobil zu machen, in dem die Auffassung verbreitet wird, dass die tragische Geschichte der jüdischen Einwohner Europas sowohl praktisch wie auch strukturell einzigartig sei und sich in keiner Weise mit anderen Manifestationen der Xenophobie vergleichen lasse. Zur Erinnerung: Dem Völkermord an bosnischen Muslimen im Juli 1995 in Srebrenica ging ebenfalls eine «im industriellen Stil der standardisierten und effizienten Diskriminierung» voraus.
Zu den «Volks- und Reichsfeinden» gehörten im nationalsozialistischen System alle Menschen, die keinen Platz in der nationalsozialistischen Vorstellung der «Volksgemeinschaft» hatten. Dazu zählten neben Juden auch die «Zigeuner». Die schätzungsweise 30‘000 in Deutschland lebenden Sinti und Roma waren Schikanen ausgesetzt und wurden ab 1933 schrittweise ausgegrenzt, entrechtet und verfolgt. Genau diese – eine der ältesten europäischen Bevölkerungsgruppen – Roma wurden wie in den Dreissiger- und Vierzigerjahren auch noch in den Neunzigerjahren Opfer der systematischen Verfolgung in Europa. Man beachte nur mal die dem «Vertrag von Lissabon» (2007) widerhandelnden Gesetze in Frankreich und Italien und die Bemühungen des früheren Justizministers Christoph Blocher das (wörtlich!) «Sonderproblem der Fahrenden zu lösen». Das der IZRS den Anlass am 29. Oktober 2011 auf dem Bundesplatz nicht nur als Tag gegen Islamophobie sondern auch gegen Rassismus im Allgemeinen ausgerufen hat, geht in der ganzen «Diskussion um den gelben Stern» völlig unter.
Rassismus ist ein Übel, das keine Kompromisse kennt
Noch in diesem Jahr sagte Zentralratspräsident Nicolas Blancho: «Über Islamophobie und Rassismus wird nicht verhandelt, sondern dagegen wird gekämpft». Und der IZRS bleibt dabei. Wenn man eine Form der Xenophobie wie Islamophobie gewähren lässt, sinkt die Hemmung, sich anderer Rassismen zu bedienen, wie das Beispiel der Niederlanden zeigt. Wurde einst Geert Wilders in den USA mit lautem Applaus in Synagogen willkommen geheissen, um dort seine Hasspredigten gegen den Islam zu halten und um von seinem Israel-Enthusiasmus zu schwärmen, so zeigt er den Juden zuhause nunmehr sein wahres Gesicht. Kürzlich trat in den Niederlanden ein rassistisch motiviertes Schächtverbot in Kraft, welches er zu verantworten hat. Es sollte eben allen klar sein, dass es keinen «guten» oder «schlechten», beziehungsweise «nützlichen» oder «unnützen» Rassismus gibt. Rassismus ist ein Übel, dass keine Kompromisse und daher auch keine Freunde kennt. Es bleibt zu hoffen, dass in dieser Frage wenigstens unter seinen Opfern einhelliger Konsens herrscht und Grabenkämpfe um Deutungshoheiten historischer Ereignisse den Kampf gegen Ausgrenzung und Unrecht nicht behindern.
*1) Wolfgang Benz ist emeritierter Professor für Geschichte an der Technischen Universität Berlin und war von 1990 bis 2011 Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung der TU Berlin. Er hielt Gastprofessuren u.a. in Australien, Bolivien, Nordirland, Österreich und Mexiko. Er veröffentlichte zahlreiche Publikationen zur deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert, zu Nationalsozialismus, Antisemitismus und Problemen von Minderheiten und ist Herausgeber mehrerer Buchreihen. Prof Benz ist Mitglied im P.E.N. Ihm wurde 1992 der Geschwister-Scholl-Preis verliehen.
*2) Anton Pelinka ist Professor für Politikwissenschaften und Nationalismusstudien an der Central European University in Budapest. Bis 2006 war er Professor an der Universität Innsbruck. Prof. Pelinka ist Direktor des Instituts für Konfliktforschung in Wien. Er hielt Gastprofessuren in Essen, Berlin, Neu-Dehli, den USA und Brüssel. Professor Pelinka veröffentlichte zahlreiche Publikationen zum politischen System und zur politischen Kultur Österreichs, zu Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus sowie zu Demokratietheorie und vergleichender Parteienforschung.