Nora Illi lässt sich den Urlaub im sonnigen Tessin nicht verbieten.
Nora Illi lässt sich den Urlaub im sonnigen Tessin nicht verbieten.

Die Leiterin des IZRS-Frauendepartements Nora Illi kritisiert die Empfehlung des Bundesrates, das Niqab-Verbot in der revidierten Tessiner Kantonsverfassung zu gewähren. Sie hofft auf eine massvolle Umsetzung unter Würdigung der Religionsfreiheit. Andernfalls zeichne sich ein juristisches Nachspiel ab.

Von Nora Illi  


Der Wind bläst uns um die Ohren und das Laub raschelt unter unseren Füssen, während wir wie jedes Jahr im Wald oberhalb des Vercasca Tals nach Marroni suchen. Nur scheint mir der Wind dieses Jahr eisiger entgegen zu blasen – direkt aus Bellinzona. Dort wird zurzeit an der Umsetzung der revidierten Kantonsverfassung gearbeitet, welche neu auch ein Verschleierungsverbot kennt.

Dieses Verbot soll mir als Schweizerbürgerin nicht nur die Ferien im familieneigenen Ferienhaus verbieten, sondern den Zutritt zu einem ganzen Landesteil verwehren – und dies nur weil ich aus religiöser Überzeugung mit einem Stücken Stoff das Gesicht bedecke. Das kann ich nicht akzeptieren. Mein Gesichtsschleier ist meine freie Entscheidung, basierend auf meiner religiösen Überzeugung. Genauso wenig wie ich mir das „Gelato“ auf der Piazza Grande verbieten lasse, dulde ich eine Einschränkung bei der freien Ausübung meiner Religion, welche durch die Schweizer Bundesverfassung geschützt ist.

Das Tessin ist der erste Kanton, der ein Gesichtsschleier-Verbot in seiner Kantonsverfassung festschreibt. Damit wird die in der Gesellschaft bereits salonfähige Islamophobie nicht bekämpft, sondern weiter gefördert. Mit dem Verbot wird die muslimische Frau aus der Schweizer Gesellschaft ausgegrenzt und zum muslimischen Paria erklärt. Einmal mehr soll ein diskriminierendes Sondergesetz meine Freiheit in meiner Heimat einschränken.

Dabei ist ein Verbot gegen die Vermummung von Hooligans und anderen gewaltbereiten Demonstranten absolut nachvollziehbar. Hier produziert ein solches Gesetz hohe Plausibilität – wenngleich gewalttätige Demonstranten sich so sehr an das Vermummungsverbot halten werden, wie Temposünder an Geschwindigkeitslimiten. Doch können die Gründe wie der Sicherheitsaspekt nicht auf die religiös bedingte Verschleierung adaptiert werden. Es ist kein Fall bekannt, in dem sich eine Muslimin einer Personenkontrolle widersetzt oder sonst in irgendeiner Weise die öffentliche Sicherheit und Ordnung bedroht hätte. Zudem wird die Verschleierung aus religiöser Überzeugung durch höhergewichtete Grundrechte geschützt, etwa durch das Recht auf freie Religionsausübung oder das Recht auf Selbstbestimmung.

Es liegen zwar keine genauen Zahlen vor, wie viele vollverschleierte Musliminnen im Kanton Tessin wohnhaft sind, aber von Vergleichswerten in anderen Kantonen ausgehend, dürften es kaum mehr als ein Dutzend sein. Dies zeigt, dass das Gesetz auch in quantitativer Hinsicht unverhältnismässig ist und einzig die Grundrechte der Schweizer Musliminnen einschränkt.

Ob das Gesetz in der Praxis wirklich angewandt werden kann, ist eine andere Frage. In Frankreich zeigt sich, dass sich die Umsetzung des Verbotes äussert schwierig gestaltet. Die französische Polizei gesteht ein, dass sie um den sozialen Frieden zu wahren, auf Bussen verzichtet.

Ob sich in Zukunft tatsächlich ein Polizist erdreisten wird, mich auf der Piazza Grande aufzufordern, meinen Niqab auszuziehen oder mich gar zu büssen, wird sich nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zeigen.

Sollte eine Busse ausgesprochen werden, würde ich den Rechtsweg einschlagen. Solange die Religionsfreiheit in der Bundesverfassung festgeschrieben ist, werde ich mich nicht in meinem Recht auf freie Ausübung meiner Religion und meinem Recht auf Selbstbestimmung beschneiden lassen. Dies zumal mein Schleier niemanden in seiner persönlichen Freiheit eingeschränkt.

Jede Frau sollte frei bestimmen dürfen, wie sie ihr Leben gestalten möchte. Ich verlange von niemandem, dass er meinen Entscheid, den Niqab zu tragen, nachvollziehen kann oder gar akzeptiert. Ich verlange aber, dass man mich in meiner Heimat wegen meiner Religionspraxis nicht kriminalisiert. Ist das zu viel?

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