Jürgen Todenhöfer reiste noch im Nov. 2011 zu Asad
Jürgen Todenhöfer reiste noch im Nov. 2011 zu Asad

Unter der islamisch umgedeuteten Variante des marxistischen Kampfrufs, „Muslime aller Länder vereinigt Euch!“, wendet sich der deutsche Publizist Jürgen Todenhöfer explizit an die Muslime. Ein gut gemeinter aber naiver Ratschlag, wie der Verweis auf die syrische Revolution zeigt.

Von Abdel Azziz Qaasim Illi 

Als ich gestern Ihren marxistisch angestimmten Aufruf zur Einheit der islamischen Umma las, erinnerte ich mich an eine beinahe vergessene Episode im bürgerrechtlichen Kampf gegen die systematische Rassendiskriminierung in den USA. Damals in den 60er Jahren rief eine Gruppe von Pfaffen unter dem vielversprechenden Titel „A Call for Unity“ die schwarze Bürgerrechtsbewegung zum Verzicht auf ihre Demonstrationen auf. Stattdessen sollten sie dem zivilen Frieden zuliebe, die (weiss dominierte und parteiische) Justiz nutzen, um zu ihrem Recht zu kommen. Martin Luther King Jr. lehnte diese gut gemeinte Geste als naiv genauso ab, wie später Nelson Mandela in Südafrika, als man ihn vor die Wahl Freiheit oder politischer Widerstand stellte.

Jeder Muslim weiss, dass die Einheit der Umma ein hohes Gut ist. Danach zu streben ist eine heilige Pflicht, dafür zu sterben eine grossartige Ehre. Der Wert der Einheit steht aber nicht absolut über allen anderen Werten des Islams. Mit Bedacht auf Ihr Syrien-Beispiel sei auf die tieferen Ursachen der Revolution hingewiesen. Am Anfang stand der Kampf gegen das Unrecht (thulm) – genau das gleiche Prinzip wie bei Martin Luther King Jr. oder Nelson Mandela. Ein gewisses Mass an Unrecht zu erdulden, ist unser irdisches Schicksal. Denn die letztendliche Gerechtigkeit erwartet uns nicht in dieser Welt. Jedoch gibt es Grenzen des Erträglichen. Das syrische Regime hat jene seit jeher überschritten. Waren Sie einmal in einem unterirdischen Folterkerker jenes Regimes? Kaum, denn das dürfte wohlweislich nicht auf dem Programm gestanden haben, als Sie wie vor zwei Jahren auf Einladung al-Asads nach Damaskus reisten, um ihm auf ARD zur besten Sendezeit eine Plattform als starker Mann gegen den Islamismus zu verschaffen und Verhandlungen zu fordern.

Natürlich haben Sie Recht, wenn Sie den Kampf zwischen den islamischen Denominationen als Ursache unserer Schwäche geisseln. Die einmal mehr gewalttätig ausgetragenen Antagonismen zwischen Shia und Sunna auf politisch-sozialer Ebene sind eine reine Katastrophe und müssen früher oder später zweifelsohne überwunden werden.

Es ist jedoch ein Fehlschluss, wenn Sie diesen uralten Kampf der Dogmen nun am Fall Syrien aufzuhängen versuchen. In Dara‘ erhoben sich im März 2011 ja nicht die Sunniten gegen die Alawiten oder Schiiten, sondern das Volk nutzte die Gunst der Stunde und erhob sich gegen jenes brutale Regime, welches seit Jahrzehnten fest im Sessel sitzend in aller Stille jede Form der Opposition unter sich zermalmte. Freilich musste sich der Hass früher oder später gegen die staatstragende alawitische Minderheit entladen. Jene gossen auch kräftig Öl ins Feuer, indem sie ihren Asad-(Un-)kult im Rahmen öffentlicher Folterrituale gegen das islamische Gerechtigkeitsgebot in die Waagschale warfen. Und dennoch: Wider allen westlichen Mediendarstellungen geht es auch heute den meisten oppositionellen Gruppen – und mögen sie noch so anti-alawitisch geprägt sein – in aller erster Linie um den Sturz des Regimes und den Aufbau einer gerechteren islamischen Ordnung – einer Ordnung, in der u.a. jeder Mensch das Recht haben soll, über den Grund seiner Verhaftung und den Ort seines Gewahrsams informiert zu werden.

In diesem Sinne, Herr Todenhöfer: Vielen Dank für Ihren sicher gut gemeinten Rat. Einheit ist gut aber nicht zum Preis der Duldung von Ungerechtigkeit. Der Kampf gegen das alawitische Regime in Syrien ist keiner gegen Alawiten, sondern einer um Gerechtigkeit und Menschenwürde und darüber gibt es nichts zu verhandeln.

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