Bern/Braunschweig, 15.12.2010
Von Murad Wilfried Hofmann
Mein Thema ist pessimistisch, indem es von einem holprigen Weg ausgeht, auf dem man stolpern kann. Doch schlußendlich ist es optimistisch, indem es von einem künftigen Verständnis, ja Zusammenwirken, zwischen den beiden Religionen ausgeht – und dies zu Recht.
Beginnen wir denn mit den Stolpersteinen, die beide Seiten auf ihrem Weg zueinander plaziert haben. Davon gibt es einige. Weshalb es voreilig – obgleich berechtigt – wäre, nach dem etwas utopischen, jedenfalls unhistorischen, christlich-jüdischen Modell bereits von einem christlich-islamischen Vermächtnis zu sprechen. Doch davon zu träumen, ist angesichts der Religionsentwicklung in Europa
erlaubt; denn so konfrontativ, ja blutrünstig die hiesige Religionsgeschichte auch war, steht sie doch der heutigen Ökumene nicht im Wege.
Wie früher die christlichen Konfessionen bleiben sich Christen und Muslime wegen gewichtiger historischer Hypotheken weiterhin fremd.
1. Auf christlicher Seite begann die Konfrontation sehr früh, nämlich im Entstehungsjahrhundert des Islam, mit seiner Verteufelung durch Johannes von Damaskus. Dessen Polemik setzte sich fort, so bei Dante Alighieri, der Muhammad bekanntlich in der Divina Comedia in den tiefsten Höllenpfuhl verbannte.
Hass auf alles Islamische war auch die Mentalität der Kreuzfahrer, angefacht von einem Heiligen, Bernhard von Clairvaux. Die Kreuzritter zeigten gleichwohl vor allem gegenüber Salah ad-Din und der ihnen überlegenen muslimischen Zivilisation hohen Respekt.
Wie in anderer Hinsicht auch stellt sich das 18. Jahrhundert für die abendländisch-muslimischen Beziehungen als ein Zwischenspiel dar. Jedenfalls zeigten die kirchenkritischen Deisten Lessing (mit Nathan der Weise), Goethe (im West-Östlichen Diwan) und Friedrich der Große (als Befehlshaber muslimischer Truppen aus Baschkiristan) eine bis dahin unbekannte Sympathie für den Islam.
Bald danach verschlechterten sich die beiderseitigen Beziehungen erneut, und zwar drastisch, zufolge der Kolonisierung der gesamten muslimischen Welt (außer Innerarabien), woran sich neben England und Frankreich auch Spanien, Italien und das zaristische Rußland beteiligten. Das Unheil setzte mit Napoleon Bonapartes Besetzung Nordägyptens (1798/ 99) ein und endete erst 1962 im algerischen Freiheitskampf, (den ich übrigens hautnah miterlebte.)
Die Kolonisierung wurde von Orientalisten nicht nur begleitet, sondern gefördert – mit bemerkenswerter Ausnahme der deutschen Islamologie. Hut ab vor Johann Jakob Reiske, Josef Hammer-Purgstall, Gustav Weil, Theodor Nöldeke, Carl Brockelmann, Friedrich Rückert, Rudi Paret, Annemarie Schimmel.
Aus Sicht vieler Muslime setzt sich die Kolonialzeit in Palästina fort. Die Auseinandersetzung darüber hat leider die frühere glückliche jüdisch-muslimische Symbiose weltweit unterbrochen. Seit dem 11. September 2001 führte sie zu einer Bedrohung des Weltfriedens.
2. Die islamischer Seite hat die Konfrontation gleichfalls genährt:
(i) Dies bereits zu Lebzeiten des Propheten Muhammad, als er die drei jüdischen Stämme in al-Madinah mit der Begründung vertrieb, sie konspirierten mit dem islamfeindlichen Mekka.
(ii) Die bis heute erstaunliche geographische Ausbreitung der muslimischen Heere bis nach Spanien und China war gewiß nicht nur der Anziehungskraft des Islam zu verdanken. Bekanntlich legten manche muslimischen Befehlshaber aus steuerlichen Gründen keinen Wert darauf, aus der besiegten Bevölkerung Muslime zu machen.
(iii) Noch krasser ging es bei den osmanischen Feldzügen zu, die zweimal, nämlich 1529 und 1683, bis nach Wien führten. Dass es dabei nicht um Islamisierung ging, erhellt daraus, daß die Bevölkerungen von Ungarn, Serbien, Griechenland, Bulgarien und Rumänien auch nach Jahrhunderten osmanischer Herrschaft Christen blieben.
(iv) In jüngster Zeit haben sich Muslime der al-Qa´ida-Organisation unter Führung von Osama bin Laden vielfach ins Unrecht gesetzt, indem sie ohne Rücksicht auf Frauen und Kinder, mit unverhältnismässigen Mitteln und unter Verstoß gegen das qur`anische Selbstmordverbot Terroranschläge zu Lasten auch der muslimischen Welt verübten.
Doch auch die Gegenwart ist auf dem Weg zu gegenseitigem Verständnis und zur Versöhnung von Stolpersteinen nicht frei
(i) Dazu zählt aus muslimischer Seite der in vielen muslimischen Ländern herrschende Despotismus, für den die Kolonisierung ursächlich gewesen sein mag, aber keine Entschuldigung mehr bietet. Gewiß sabotierten die Kolonialmächte den Demokratisierungsprozeß derart, daß Muslime meinen konnten, die Menschenrechte seien blond und blauäugig. Doch das rechtfertigt die heutige Willkürherrschaft in manchen muslimischen Ländern nicht.
(ii) Abstoßend ist auch der vom Öl- und Gas-Reichtum in einigen muslimischen Ländern ausgelöste, völlig unislamische Luxus und Konsumwahn, wie man ihn am arabischen Golf, wo man inzwischen unter einem Dom sogar Ski fahren kann, schaudernd erlebt.
(iii) Besonders schlimm ist es, daß dieser Reichtum auch innerhalb der muslimischen Welt so schlecht verteilt ist, daß es ausgerechnet dort den weltweit höchsten Stand an Analphabetismus gibt: Bei einer Religion, die mit der Aufforderung zu lesen begann: Iqra ! Bismi Rabbika alladhi khalaq – Lies! Im Namen Deines Herrn, Der erschuf (96: 1).
(iv) Dem entspricht das Vordringen, auch in Deutschland, von Strömungen, die nicht nur die Assimilation, sondern auch die Integration in die westliche Gesellschaft ablehnen. Darunter gibt es häufig Muslime der Hizb at-Tahrir-Bewegung, die man auffordern sollte, in ihr Ursprungsland zurückzugehen, wo sie hier doch nichts finden, das ihnen passt.
(v) Nicht ideologisch fundiert, aber de facto, ist auch die fortdauernde, missliche Rückbezogenheit vieler türkischer Muslime auf die Türkei. Dies gilt selbst für die Nurculuk-Bewegung von Fethullah Gülen. Es ist für den Islam abträglich, daß es hier vier mit einander konkurrierende türkische muslimische Organisationen gibt, neben arabischen, iranischen, bosnischen und albanischen muslimischen Verbänden. Wie soll sich ein Deutscher da auskennen? Wie soll es so zu einer Vertretung aller Muslime gegenüber den deutschen Landesregierungen kommen?
(vi) Für die hiesige Akzeptanz des Islam ist des weiteren abträglich, dass manche muslimische Immigranten nicht recht zwischen dem Islam als Glauben und Gebräuchen ihres Ursprungsland zu unterscheiden wissen. Dazu zählen sog. Ehrenmorde, Zwangsverheiratungen und die Beschneidung der Frau: alles barbarische Bräuche, die dem Islam eindeutig widersprechen.
(vii) Nicht ohne Grund wird beobachtet, wie Muslime mit ihren Frauen umgehen, obwohl Frauen auch in nichtmuslimischen Ländern stark diskriminiert werden. Man denke nur an China, Indien und Südamerika. Allerdings hat die muslimische Welt tatsächlich häufig verdrängt, welche Rolle Ehefrauen des Propheten wie ´A`i-sha und Hafsa spielten. Immerhin bemühen sich die Muslime hierzulande, Frauen den ihnen zustehenden gleichen Rang einzuräumen, zum Beispiel als Vorsitzende bei Versammlungen und in Verbänden. (Derzeit ist eine Frau Generalsekretärin des Zentralrats der Muslime in Deutschland.)
3. Auch auf christlicher Seite ist leider manches geschehen, das sich nachteilig auf die Integration der hiesigen Muslime auswirkt.
Dies geht aus jüngst in «Christ und Welt» erschienenen Umfrageergebnissen hervor, wonach die Deutschen gegenüber dem Islam kritischer eingestellt sind als dies bei unseren Nachbarn in Europa und in Großbritannien der Fall ist. So wird der Moscheebau in Portugal von 3/4 der Bevölkerung befürwortet, in Frankreich und den Niederlanden von 2/3, in Deutschland aber nur von weniger als einem Drittel.
(i) Nach wie vor ist es fast unmöglich, eine Moschee im Stadtbereich zu bauen. Nach wie vor bleibt die Nutzung des Minaretts für den Gebetsruf regelmässig untersagt.
(ii) Kopftuch tragende Musliminnen und den Vornamen Muhammad tragende Muslime werden im deutschen Arbeitsmarkt weiterhin erheblich benachteiligt.
(iii) Nur einem kleinen Bruchteil der hiesigen muslimischen Kinder wird staatlicherseits islamischer Religionsunterricht angeboten, obwohl es verfassungsrechtlich vorgeschrieben ist.
(iv) In der Presse kommt der Islam regelmäßig negativ vor, nach dem Motto: Good news is no news. Dass ich letztes Jahr vom Emir von Dubai zur „Islamischen Persönlichkeit des Jahres“ ausgerufen wurde, nahm die deutsche Presse zum Beispiel nicht zur Kenntnis.
(v) Am bedenklichsten aber sind Anzeichen dafür, dass manche Deutsche ihren Antisemitismus – der gegenüber Juden glücklicherweise tabuisiert ist – nunmehr an anderen Semiten auslassen, an Arabern und ihrer Religion. Symptomatisch dafür sind die zunehmenden Anschläge auf Moscheen.
4. Es ist somit hohe Zeit, sich auf unsere aller Gemeinsamkeiten zu besinnen.
(i) Haben wir nicht alle einen und denselben Gott, auch wenn wir Ihn Allah nennen, Juden von einer besonderen Beziehung zu Gott ausgehen, und Christen sich mit ihrer Dreifaltigkeitsvorstellung abmühen?
(ii) Sprechen wir nicht vom Gleichen, wenn Christen sich auf einen «liebenden» Gott und Muslime auf einen «barmherzigen» beziehen?
(iii) Muss unsere Gläubigkeit sich nicht notwendig in Mitmenschlichkeit und damit religiöser Toleranz manifestieren, gemäss der quranischen Vorgabe: La ikraha fi-d-din (Kein Zwang im Glauben!) und Lakum dinukum wa li ad-din (Euch euer Glauben und mir der meinige; 2: 256/ 109: 6)?
(iv) Sitzen die Gläubigen aller Religionen letztlich nicht im gleichen Boot, auf einer anschwellenden See von Ungläubigkeit, Agnostizismus und Atheismus?
(v) Kämpfen wir nicht alle gegen ausufernde Verwerfungen der Moderne wie Verfall der Familie, Kinderlosigkeit, sexuelle Zügellosigkeit und Drogenkonsum?
(vi) Ahnen wir nicht, daß Gott nicht nur hebräisch, lateinisch und arabisch, sondern alle Sprachen versteht, in denen Er angefleht wird?
5. Die Gläubigen haben in der Tat allen Grund, miteinander und aufeinander zuzugehen, gemeinsam, nicht einsam, um in einer krass materialistischen Zeit die Werte zu verteidigen, auf denen unsere Zivilisation beruht: Gottesfurcht, Brüderlichkeit, Verläßlichkeit, Fleiss, Genügsamkeit, Opferbereitschaft.
Die Muslime entwickeln gegenüber dieser Misere ein gewisses Sendungsbewusstsein, angeregt von einer berühmten prophetischen Überlieferung, wonach ein jeder sollte «das Gute gebieten und das Böse verbieten, wenn möglich mit der Hand, sonst mit dem Mund oder, wenn auch das nicht möglich, wenigstens im Herzen».
Dieses Sendungsbewusstsein ergibt sich aus der muslimischen Interpretation der Religionsgeschichte als Fortschreiten von einer Stammesreligion zu einer universellen Religion und von Erbsünden- und Inkarnationsdenken zu einer gänzlich abstrakten Gottesvorstellung.
Die Muslime sehen sich also nicht hinter der Aufklärung herhinken. Vielmehr begreifen sie den Islam als einen frühen Aufklärungsversuch gegenüber einem Christentum, das schon 325 im Konzil von Nizäa die Menschwerdung Gottes postulierte.
Dieses Selbstverständnis der Muslime zu berücksichtigen, hiesse, einen sehr grossen Stolperstein aus dem Weg zu räumen. Sollte dies nicht einer Zivilisation gelingen, welche sich gegenüber allen anderen Religionen aufgeschlossen, ja verständnisvoll zeigt: Hare Krischna-Jünger, Rudolf Steiners Anthroposophen, in Stonehenge tanzende Druiden, schwarzgekleidete Satanisten, tibetanische Buddhisten, Lubawitscher Juden, serbischen Orthodoxe und militante Atheisten à la Richard Dawkins.
Was fehlt dem Islam im Vergleich mit ihnen? Was können die Muslime selbst gegen das sie belastende Kenntnisdefizit tun?
Nun, deutschbürtige Muslime versuchen es mit Hilfe der in Berlin 14-tägig herauskommenden Islamischen Zeitung. Und muslimische Gemeinden veranstalten alljährlich am 3. Oktober ihren «Tag der Offenen Moschee», um Berührungsängste abzubauen.
Auszüge aus dem ursprünglich gehaltenen Vortrag des Beiratsmitglieds des Zentralrats der Muslime in Deutschland (ZMD), Dr. Murad Wilfried Hofmann, anlässlich des Neujahresempfanges der Islamische Gemeinschaft Braunschweig am 08.12.2010. Mit freundlicher Genehmigung durch den Islamischen Zentralrat Schweiz (IZRS) am 15.12.2010 publiziert.