In Russland wurden bereits vor einem Jahr 65 islamische Klassiker wie etwa der «Riyad us-Salihin» verboten. Nun hat ein Gericht erstmals auch die berühmteste Übersetzung des Qur’ans im Land auf den Index gesetzt. Muslime und Rechtsexperten sind konsterniert.
(qi) Ein russisches Bezirksgericht in Novorossiysk hat in einem aufsehenerregenden Urteil die weit verbreitete Übersetzung des Qur’ans von Elmir Kuliyev als «extremistische Literatur» eingestuft und verboten. Geht es nach dem Willen des Gerichts, müssen schon bald alle betroffenen Qur’an-Exemplare eingezogen und vernichtet werden. Ein ähnlicher Versuch die Qur’an-Übersetzung zu verbieten scheiterte noch Anfang dieses Jahrs vor dem Bezirksgericht in Orenburg.
Das Gericht bezog sich in seinem Urteil auf ein 2002 erlassenes und in der Folge viel kritisiertes «Anti-Extremismus-Gesetz», welches lokalen Behörden gestattet massiv in die Grundrechte russischer Bürger einzugreifen. So wurden bisher rund 2000 Schriften verboten, darunter 65 islamische Klassiker wie etwa die berühmte Hadith-Sammlung «Riyad us-Salahin» von Imam an-Nawawi oder die Prophetenbiografie (Sira) von Ibn Hisham oder al-Ghazalis «Kriterium des Handelns».
Das Gericht argumentierte mit dem in den Schriften postulierten Wahrheitsanspruch des Islams, woraus eine Überlegenheit der Muslime gegenüber anderer Religionen abgeleitet werden könne.
Muslime und Rechtsexperten: «Stumpfsinniges Urteil»
Der russische Mufti-Rat reagierte scharf auf das Urteil und nannte es einen «rücksichtslosen und blasphemischen» Akt. Der Ratsvorsitzende, Mufti Ravil Gainutdin, appellierte an die Behörden in Moskau, dieser absurden Praxis Einhalt zu gebieten. Der Ratsbeisitzende, Mufti Nafigullah Ashirov, erklärte, dass jede Religion oder Ideologie, also auch der Kommunismus, die Demokratie oder das Christentum einen Wahrheitsanspruch vertreten. «Der Islam ist in dieser keine Ausnahme. Als Muslim glaube ich, dass der Islam die wahre Religion ist und alle anderen aufgehoben sind.»
Experten zeigen sich bestürzt über das jüngste Urteil. Der Orientalist Gumer Isaev, ein Ordinarius an der St. Petersburger «State University», verglich den Grundrechtseingriff mit der staatlichen Unterdrückung religiöser Minderheiten unter Stalin und fragt sich, ob dahinter «natürliche Stumpfsinnigkeit» oder eine «vorsätzliche Politik der Behörden» zu vermuten sei und was man als nächstes erwarten dürfe.
Der Journalist und Experte für islamische Kultur, Maxim Shevchenko, nannte den zuständigen Richter gar einen «Terroristen». Dies weil jener mit seinem Urteil den anti-russischen Rebellengruppen mehr Wasser auf die Mühlen giesse, als alle Propaganda Webseiten zusammen.
Abdullah Mukhametov, ein muslimscher Experte, sagte gegenüber «Onislam», dass hinter den Verboten gegen das islamische Schrifttum der Versuch islamophober Nationalisten stehe, Muslime ihrer angestammten Heimat zu entfremden. Es sei offensichtlich, dass ein solches Verbot dazu führen würde, dass Muslime dem Staat zukünftig feindlich gegenüber stünden.
Hoffen auf Vernunft
Während der Mufti-Rat in Moskau mit Kritik direkt an den Präsidenten gelangte, versuchen lokale Bürgerrechtler gegen das Urteil zu appellieren. Sie machen geltend, dass das Gericht bei seiner Urteilsfindung übergeordnetes Verfassungsrecht, wie etwa die Glaubens- und Gewissensfreiheit nicht in gebührender Weise mitberücksichtigt habe.
Der Anwalt Ravil Tugushev warnt: «Das Urteil schafft einen Präzedenzfall. Es legt die Grundlage für Verbote weiterer Übersetzungen des Qur’ans oder gar für ein Verbot des arabischen Originals und letztlich für ein Verbot des Islams in Russland.»
Quellen: Onislam, Russia Prohibits Qur’an Translation, 21.09.2013. / Al-Arabiya (AP), Russia’s top mufti protests ban on Quran’s edition, 21.09.2013.