Die sich seit langem anbahnende rechte Wende scheint zunehmend Realität zu werden. Muslimvertreter tun gut daran, die Ängste der Bevölkerung nicht pauschal als eine Konversion hin zu rassististisch-reaktionären Ideologien zu verunglimpfen, sondern endlich den Migrations- vom Islamdiskurs abzukoppeln.
Von Abdel Azziz Qaasim Illi
Der Rechtsruck bei den Europawahlen war absehbar. In Frankreich hat der Rassemblement National von Marine Le Pen die Erwartungen übertroffen und Präsident Macron zu vorgezogenen Neuwahlen gedrängt. Ob es sich dabei um eine Protestwahl oder eine tiefgreifende Trendwende handelt, wird sich ab Ende Juni zeigen.
Aus muslimischer Sicht sind solche Erdrutschsiege nationalistischer Parteien problematisch. Beispiele aus der Schweiz, Österreich und Italien zeigen, dass diese Parteien geschickt versuchen, Probleme, die durch hohe Migrationszahlen entstehen, zu islamisieren. 2009 verbot die Schweizer Bevölkerung den Bau von Minaretten und folgte der Argumentation der nationalistischen SVP, diese seien Machtsymbole des politischen Islams und ein Verbot würde weitere muslimische Migranten abschrecken. Beide Behauptungen waren falsch. Dennoch wurde die Initiative mit über 58% der Stimmen angenommen.
Es bedarf keiner detaillierten Beweisführung, um zu erkennen, dass nicht eine Handvoll Minarette oder ein paar vollverschleierte Frauen die eigentlichen Probleme sind, die Millionen Europäer in die Arme der Nationalisten treiben. Muslime, die hier leben, die Sprache sprechen, eine Ausbildung absolvieren und in den Erwerbsprozess eingebunden sind, dürften kaum der Stein des Anstosses sein. Die Menschen sind vielmehr beunruhigt über die Auswüchse einer scheinbar ausser Kontrolle geratenen Migrationswelle, die man insbesondere in Italien und Frankreich rund um Bahnhöfe und in Aussenquartieren beobachten kann. Nachrichten über Gewaltverbrechen, überforderte Behörden sowie überlastete Schul- und Sozialsysteme verstärken diese Verunsicherung.
Wenn man sich in Berlin-Neukölln mittlerweile auf Arabisch besser verständigen kann als auf Deutsch, wenn in England Takbir-rufende Kandidaten in lokale Ämter gewählt werden und Hunderte Muslime dem Ruf von Muslim Interaktiv folgen, um auf Hamburgs Strassen die vermeintlichen Vorzüge des Kalifats zu predigen, dann ist das für viele Europäer ein Zeichen, dass Integration nicht wie versprochen funktioniert.
Diese Ängste müssen ernst genommen werden. Sich wie der scheidende Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland (ZMD), Aiman Mazyek, nur in Besorgnis zu hüllen und allen AfD-Wählern eine ideologische Affinität zu Rassismus zu unterstellen, verkennt die Realität. Mazyek täte gut daran, nicht ausschliesslich auf regierungsnahen Empfängen zu verkehren, sondern auch dem durchschnittlichen Bürger zuzuhören. Es wäre wichtig, dass er als ZMD-Vorsitzender nicht länger die Migrationsprobleme kleinredet, sondern Migration als separaten Diskurs behandelt, auf die Menschen zugeht und Verständnis für ihre Sorgen ausdrückt. Unsere Botschaft als muslimische Akteure in Europa muss heute klarer denn je sein: Wir sind keine Advokaten einer unkontrollierten Migration und stehen verschärften Massnahmen zur Eindämmung derselben auch nicht im Weg. Gleichzeitig bestehen wir darauf, dass die hier lebenden Muslime ihren Glauben im Einklang mit der verfassungsmässigen Ordnung in Ruhe und Frieden praktizieren dürfen. Eine schärfere Trennung von Migrations- und Islamdiskurs ist also dringend notwendig.