Das positive Abschneiden der rechtskonservativen SVP bedrückt die Muslime. Politisch ist die islamophobe Taktgeberin derzeit nicht zu bändigen. Angesichts der anstehenden polarisierenden Debatten sollten Muslime ihren Fokus auf ihre eigenen Versäumnisse richten, anstatt in Enttäuschung und Gejammer zu verharren.
Von | @qaasimilli folgen |
Gestern Abend stand es schwarz auf weiss in allen Onlineportalen: Die rechtskonservative SVP hat einen historischen Wahlsieg auf Kosten der Mitteparteien errungen. Damit ist klar, dass die durch das Abspalten der BDP 2011 vorübergehend eingetretene Baisse überwunden werden konnte. Die Partei setzt ihren Siegeszug wider alle politisch korrekten Unkenrufe fort.
Anders als die schwer greifbaren, permanent lamentierenden Mitteparteien setzt die SVP seit jeher klare Wegmarken und bewirtschaftet Themen, die von einem wesentlichen Anteil der Bürger als prioritär wahrgenommen werden. Ein Thema erfolgreich zu bewirtschaften heisst im Idealfall, es erst zum Thema zu machen. Dies gelingt der SVP seit ihrer Gründung etwa mit der Ausländer- und EU-Politik. Als das Ausländer-Thema mangels grosser Migrationsströme im neuen Millennium ins Hintertreffen zu gelangen drohte (Scheitern der 18%-Initiative im September 2000), entdeckten findige Parteigänger den Islam als neue kulturelle Gefahrenzone. Das Thema liess sich diskursiv beinahe nahtlos an die Ausländerdebatten der späten 90er Jahre anhängen, zumal die meisten Nicht-EU Zuwanderer in der Schweiz aus Ländern mit muslimischem Hintergrund stammen. Ausserdem gibt es eine Vielzahl korrespondierender Topoi zwischen Ausländer und Muslim: Beide lassen sich qua ihrer Herkunft und Kultur als «Fremde» konstruieren, beide bringen neue Bräuche, Sitten und Essgewohnheiten ins Land und beide verursachten dem Schweizer Steuerzahler auf die eine oder andere Art Mehrkosten – wird so zumindest geltend gemacht.
Die seit 2004 europaweit an Schärfe gewinnenden kulturhegemonialen Wertedebatten richteten sich praktisch ausschliesslich gegen den Islam. Die SVP vermochte über die Landesgrenzen hinweg nur deshalb Erstaunen auszulösen, weil sie sich ab 2006 auf Minarette fixierte anstatt auf die aus frankophoner Sicht viel gefährlicheren Kopftücher und «Burkas». Die Brisanz einer systematischen Bewirtschaftung der Islamophobie wurde von der Politik völlig unterschätzt. Anstatt den im Zuge der Minarett-Debatte zementierten islamophoben Stereotypen gewichtig und von höchster Stelle aus entgegenzutreten, belächelte und ignorierte die Politik das Volksbegehren bis zum Abstimmungstag konsequent. Offenbar glaubte niemand daran, dass sich das skurrile Anliegen des Egerkinger Komitees an der Urne durchsetzen könnte. Das fulminante Scheitern Claude Longchamps Abstimmungsprognose gilt seither als symptomatisch für den Graben zwischen der politisch korrekten öffentlichen und der abstimmungsrelevanten Meinung der Schweizerinnen und Schweizer. Dabei hätten die Leserkommentare in den Onlinemedien längst als Indikator für den neuen politischen Trend dienen können.
Heute wissen wir, dass die SVP auf ein erfolgversprechendes Pferd gesetzt hat. Die Islamophobie birgt viel politisches Kapital und zwar auf differenten Ebenen. Einerseits ist sie wie oben bereits erwähnt mit der auf Ausländer und Asylanten bezogenen Fremdenfeindlichkeit kompatibel, bietet darüber hinaus noch eine weitläufige Matrix für kulturelle Abwehrdebatten und greift zunehmend auch in den für verunsicherte Bürger immer relevanter erscheinenden Sicherheitsdiskurs ein. Islam gilt derzeit vielen auf zwei Ebenen als gefährlich: kulturell und militärisch. Anders als in den USA dominierte in Europa bisher eher die Angst vor kultureller denn militärischer Konkurrenz. Parallel zur medial gesteigerten Wahrnehmung des IS als erklärter Anti-Entwurf zum westlich-modernen Weltsystem vermag letztere Komponente jedoch zunehmend an Terrain zu gewinnen. Dies zumal die islamophob motivierten Grundrechteinschränkungen in Europa ja nicht zuletzt auch als wichtiger Push-Faktor für viele IS-Anhänger gelten und sich infolge der unmittelbareren Feindes-Präsenz eine das Unsicherheitsgefühl zusätzlich beflügelnde neue Realität ergibt. Rechtskonservative Parteien wie die SVP werden es in Zukunft verstehen, die Wahrnehmung des Muslims als nunmehr potentiellen inneren Feind zu bewirtschaften, um daraus ausfliessend letztlich die innenpolitische Agenda aufs Neue zu dominieren, lange bevor sie in den Ratsbüchern traktandiert werden kann.
Das Konzept der SVP verspricht also auch in Zukunft Erfolg. Für alle anderen Parteien zeichnen sich im gegenwärtig von muslimischen Migrationsströmen gezeichneten Umfeld ungleich schlechtere Aussichten ab. Die Grünen etwa müssten paradoxerweise auf eine ökologische Katastrophe ohne ihresgleichen setzen, wollten sie mit ihren angestammten Kernkompetenzen ein Comeback anpeilen. Die Schweizer Linke zehrt seit dem Aufblühen der Rechtskonservativen von ihrem angestammten ideologischen Symapthiepotential. Fast durchgehend ist sie in der Defensive, scheint überwiegend damit beschäftigt, die von rechts gemachten Fakten zu verdauen. Eigene Themen zu setzen, vermag sie wie auch die übrigen in der Mitte lamentierenden Kleinparteien trotz ihres angehäuften akademischen Potentials nicht – bzw. nicht mit Erfolg.
Vor diesem Hintergrund – der sich bereits im Vorfeld der Wahlen abgezeichnet hatte – erscheint der Versuch einiger Muslime, Wahlempfehlungen an die eine oder andere SVP-Konkurrentin abzugeben als offensichtlicher Verzweiflungsakt. Muslime müssen sich bewusst sein, dass sie im derzeitigen politischen Umfeld mangels demografischer Relevanz keine subjektive Rolle spielen können. Ganz allgemein stellt sich die Frage, ob sich Muslime selbst unter den Bedingungen einer Königsmacherrolle qua Muslime in einem nicht islamischen System parteipolitisch festlegen sollten. Die theologische Debatte dazu mal aussenvorgelassen, birgt dies die Gefahr in Ergänzung zu den zahlreichen methodisch-theologischen inneren Verwerfungen auch noch einen politischen Graben durch die Umma zu schlagen. Zudem gibt es auch unter den SVP-Konkurrenten viele, die aus weltanschaulichen Gründen den einen oder anderen islamischen Normen und Bräuchen durchaus kritischer gegenüberstehen als etwa die islamophoben Mitglieder des Egerkinger Komitees.
Wenn also auf dem Weg der politischen Partizipation derzeit islamische Interessen nicht zu wahren sind, was können Muslime denn tun? Im Folgenden sollen zwei gewissermassen interdependente Foki besprochen werden.
Der Fokus auf die Gesellschaft
Politik zumal in der direktdemokratischen Schweiz gedeiht in der Gesellschaft. Muslime dürfen sich auch unter erschwerten Bedingungen auf keinen Fall von ihr abwenden. Vielmehr sollen sie der Entfremdungsstrategie der SVP ihre muslimische Präsenz in all ihren Sphären – damit ist nicht eine persönlich-egoistisch motivierte gemeint – entgegenhalten. Konkret heisst dies, sie sollen sich in Vereinen, der Feuerwehr, in der Armee, dem Zivilschutz etc. einbringen und zwar nicht wie dies linke Kreise fordern, als blosse identitätslose Staatsbürger oder edle Fremde, sondern als Muslime. Mit dem Bekenntnis zum Islam wird dem Muslim ein stets zu aktualisierendes Bewusstsein als Teil des islamischen Ganzen abverlangt. Muslime sind immer Muslime, nicht nur in der Moschee und sollen dies auch mit angemessenem Stolz und Würde gegen aussen manifestieren. Erst durch dieses subjektiv applizierte Islam-Bewusstsein erlangt der Muslim die Selbstsicherheit, die ihm ein gesellschaftliches Wirken im Sinne des Islams ermöglicht. Tritt der Muslim lediglich als identitätsloser Staatsbürger oder edler Fremder im gesellschaftlichen Kontext auf, so wird er gar nicht als Muslim wahrgenommen, ergo können seine positive Verhaltensweise, die hohe Moralität, der Gemeinschaftssinn etc. gar nicht als spezifisch islamisch identifiziert werden. Damit dient er aber nur sich selbst, allenfalls bei Immigranten dem Ruf seines Ursprungslands, nicht aber dem Islam, welcher unter diesen Umständen nicht selten als Negativfolie zum erstaunlich positiven Verhalten des Migranten wahrgenommen wird. Der Betroffene wird dann nicht wegen dem Islam, sondern trotz seiner muslimischen Herkunft z.B. als Beispiel einer geglückten Integration beschrieben.
Praktisch zeigt sich ein ausgesprochenes islamisches Bewusstsein gerade auch am Drang, dem Islam in der breiteren Öffentlichkeit Präsenz zu verschaffen. Dies geschieht seit einigen Jahren durch Informationskampagnen, wobei Nicht-Muslime wie übrigens auch viele Menschen mit muslimischem Hintergrund die Möglichkeit erhalten, die durch mediale Berichterstattung aufgebaute Spannung zwischen Islam und westlicher Moderne oder alltäglicher: zwischen Muslim und Nicht-Muslim abzubauen, indem ihnen das direkte Gespräch angeboten wird. Nicht selten führen derartige Begegnungen zu einer vollständigen Umkehrung der Wahrnehmung dessen, was im islamophoben Diskurs sonst als gegeben gilt. Diese Arbeit am Puls der Gesellschaft macht sich im Gegensatz zu den abgehobenen und sehr spärlich rezipierten akademischen und interreligiös geführten Dialogen zu Gunsten des Islams bisweilen positiv bemerkbar.
Der Fokus auf die Gemeinschaft
Sechs Jahre nach der Annahme des Minarett-Verbots sind die Schweizer Muslime weiterhin in bedauernswert schwachem Grade organsiert. Der Islamische Zentralrat vermochte sich zwar in der post-Minarett-Debatte als gewichtige Basisorganisation zu etablieren, ist aber mit etwas über 3600 eingeschriebenen Mitgliedern weit unter der angestrebten 10’000er Marke hängen geblieben. Andere Projekte wie etwa das seit Jahren immer wieder angekündigte «Umma»-Projekt sind bisher nicht über die abstrakten theoretischen Vorstellungen einer muslimischen Gemeindeorganisation nach dem Modell der christlichen Landeskirchen hinausgekommen.
Dabei wäre es gerade angesichts der auf uns zurollenden neuen Herausforderungen, seien es die politisch vorangetriebenen islamophoben Angriffe auf den islamischen Kultus (Niqab und Hijab) oder die geistige Durchdringung im Bereich der Schule (Sexualisierung der Kinder etc.) dringend nötig, als geeinte Interessensgemeinschaft aufzutreten. Wiederholte beherzte Versuche, die wichtigsten Verbandsvertreter an einen Tisch zu bringen, scheiterten entweder an egoistischer Kurzsichtigkeit oder an der Feigheit, eine geeinte islamische Gemeinschaft dem persönlichen Ansehen und jenem des eigenen Vereins voranzustellen.
So bleibt die islamische Gemeinschaft angesichts der politisch erstarkten Islamophobie gespalten, verzettelt und geschwächt bar jeder so dringend nötigen Koordination in abwartend-passiver Starre verharrend – ein durchwegs unbefriedigender Zustand, den nur die Muslime selbst zu verändern vermögen! Der Druck auf die bestehenden Strukturen muss von unten stetig erhöht werden. Muslime sollen sich mit dem Ist-Zustand gerade nicht zufrieden geben. Sie sollen sich organisieren, in Zirkeln der aktuellen gesellschaftlichen Realität Aufmerksamkeit zukommen lassen und mit Projektideen an die Verbände herantreten und jene zu mehr Einheit und Aktivismus drängen. Nur Konsumieren und dann aus dem heimischen Stubensessel heraus das grosse Wehklagen anstimmen ist zwar verbreitet, ändert aber an der Situation nichts. Islam bedeutet Gemeinschaft und nur in der Gemeinschaft manifestiert sich der Islam in vollen Zügen. Gemeinschaft zu reproduzieren kann ergo nicht nur im Gebet eine Individualpflicht sein.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Muslime angesichts der sich in den Wahlen 2015 aktualisierenden gesellschaftlichen Islamophobie näher zusammenrücken sollten, analog zum Fischschwarm, der sich in unsicheren Gewässern gegen bedrohliche Jäger eng zusammenzieht. Der Qur’ân lehrt uns, dass trotz der quantitativ erdrückenden Mehrheitsverhältnisse unserer islamophoben Antagonisten ein Überwinden jener durch Festhalten am Seil der Einheit und kraft eines starken islamischen Bewusstseins jederzeit ein reales Szenario bleibt. Keine Zeit also für Enttäuschung und Gejammer. Genug reflektiert, distanziert und integriert in den normativen Korridoren des islamophoben Gefüges. Das Wahlresultat soll zum Anpacken, zum Aufwärmen, zum Neuanfang motivieren. Muslime, manifestiert euch als Muslime und versteckt euch nicht!