Tagesanzeiger – Der amerikanische Soziologe David Jacobson schreibt in seinem neuen Buch, der Konflikt zwischen westlichen und arabischen Staaten entzünde sich an der Rolle der Frau.
Die These Ihres Buches lautet: Die globalen Konflikte entzünden sich heute an der Frau. Wie kommen Sie darauf?
Wenn wir die weltweiten Konflikte anschauen, dann ist es verblüffend, wie sehr die weibliche Sexualität und die Rolle der Frau eine entscheidende Rolle spielen: In Afghanistan wird einem Mädchen in den Kopf geschossen, weil es sich für die Bildung seines Geschlechts starkmacht. In Ägypten werden demonstrierende Frauen vergewaltigt. In Algerien werden junge Frauen, die sich westlich anziehen, verprügelt.
Ausgerechnet dort, wo Frauen nichts wert sind, soll sich alles um sie drehen?
Das ist die Ironie am Ganzen: Die Wichtigkeit der Frauen wird zum Hauptargument für ihre Unterdrückung. Patriarchalische Gesellschaften sind beinahe besessen von der Frau. Sie soll rein bleiben bis zur Hochzeit, sich züchtig kleiden, sie hat kein Selbstbestimmungsrecht, sie ist Besitz. Deshalb wird in diesen Gesellschaften eine vergewaltigte Frau nicht als Opfer betrachtet, sondern der Besitz des Mannes wurde angegriffen, er wurde damit in seiner Ehre verletzt, und die Frau hat ihm Schande gemacht. Wenn die Frau den Vergewaltiger heiratet, kann sie die Familienehre wiederherstellen.
Für uns nicht nachvollziehbar.
Nein. In Europa hat sich die Selbstbestimmung als Grundlage für einen fortschrittlichen Staat und als Voraussetzung für die Menschenrechte schon vor Jahrhunderten durchgesetzt. Der Konflikt zwischen dem Westen und den muslimischen Ländern geht auf diesen ideologischen Graben zurück: Im Westen geht es um Selbstbestimmung, in den patriarchalischen Ländern um Ehre, was konkret heisst: um die Kontrolle über die Frau. Unter dem Einfluss der Globalisierung hat sich in den letzten vierzig Jahren aber eine Menge getan. Frauen sind besser ausgebildet und gehen arbeiten, was ihnen wiederum eine gewisse Autonomie verleiht.