Bern, 17.10.2012

Von A. Fatih Karlıdağ

nikah_schweizer_recht_mehreheAm  Mittwoch, 14. März 2012 reichte der SVP-Nationalrat Oskar Freysinger eine förmliche parlamentarische Anfrage an den Nationalrat ein. Dabei geht es um die Mehrehe im Islam und ihre Verträglichkeit mit Art. 215 StGB.

Art. 215 StGB besagt: „Wer eine Ehe schliesst oder eine Partnerschaft eintragen lässt, obwohl er verheiratet ist oder in eingetragener Partnerschaft lebt, wer mit einer Person, die verheiratet ist oder in eingetragener Partnerschaft lebt, die Ehe schliesst oder die Partnerschaft eintragen lässt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft“.

Fraglich ist jedoch, ob die islamische Eheschliessung überhaupt unter den Tatbestand von Art. 215 StGB subsumiert werden kann. Die religiöse Eheschliessung nimmt nicht nur im Islam, sondern auch in anderen Religionen eine besondere Stellung ein. So kennt auch das Christentum die religiöse Zeremonie, „kirchliche Trauung“ genannt, wodurch Mann und Frau erst zu Partner im heiligen Bund der Ehe werden. Solche Trauungen sind nach Schweizer Recht jedoch keine Ehe (Nichtehe), diese entfalten also keine rechtlichen Wirkungen.

Um unter den Tatbestand von Art. 215 StGB subsumiert werden zu können, muss sowohl die objektive Seite als auch die subjektive Seite des Tatbestands erfüllt sein. Objektiv muss eine Ehe geschlossen werden oder eine Partnerschaft eingetragen werden. Subjektiv muss der Wille bestehen eine Ehe zu schliessen oder eine Partnerschaft einzutragen und das Wissen bestehen, dass bereits eine Ehe besteht oder eine Partnerschaft eingetragen ist. Die Subsumtion scheitert jedoch bereits an der objektiven Seite des Tatbestands, da durch eine islamische Ehe nach Schweizer Recht effektiv keine Ehe geschlossen wird.

Aus der Vorrangstellung der Ziviltrauung in Art. 97 Abs. 3 ZGB ergibt sich das Verbot eine religiöse Eheschliessung vor der Ziviltrauung durchzuführen. Hierzu publizierte das EJPD das Merkblatt „Religiöse Eheschliessung durch Verantwortliche religiöser Gemeinschaften in der Schweiz“. Dieses schliesst mit „Den unbefugt handelnden Stellen und Personen droht die strafrechtliche Verfolgung durch die dafür vorgesehenen Strafverfolgungsbehörden“ ab, mit Verweis auf Art. 271 (Verbotene Handlungen für einen fremden Staat), Art. 287 (Amtsanmassung) und Art. 292 StGB (Ungehorsam gegen amtliche Verfügungen). Wie bereits zu Beginn simpel erklärt, kann eine islamische Ehe nicht unter Art. 215 StGB subsumiert werden, da diese schlicht und einfach als Nichtehe gilt. Fraglich ist jedoch ob die Person, welche die Eheleute traut sich strafbar macht. Dies ist zu verneinen solange die zuvor genannten Strafnormen nicht angewandt werden können. Interessant sind jedoch solche Fälle in denen der Richter islamisches Recht anwenden muss.

In der Schweiz muss der Richter fremdes Recht anwenden, wenn das Internationale Privatrecht (IPRG) auf dieses verweist. Ob es sich um thailändisches, chinesisches oder islamisches Familienrecht handelt, ist irrelevant. Dies, solange die Anwendung nicht zu einem Ergebnis führt, welches mit der schweizerischen ordre public nicht vereinbar wäre. Bei islamischen Ehen besteht dieses Problem jedoch relativ selten, denn häufig liegt die Anerkennung solcher Ehen im Interesse der Frau. Eine Sudanesin, welche als anerkannter Flüchtling in der Schweiz lebte, heiratete in der Schweiz nach islamisch/sudanesischem Recht. Als die Frau bei der Trennung nach Unterhaltsbeiträgen verlange, stellte sich der Mann auf den Standpunkt es habe eine Nichtehe bestanden, da die islamische Ehe in der Schweiz gar nicht anerkannt sei und auch sonst keine staatlich anerkannte Ehe geschlossen wurde. In Anlehnung ans IPRG befand das Regionalgericht Bern-Mitteland jedoch, dass eine gültige Ehe zustande gekommen sei.

Islamische Mehrehe strafrechtlich nicht erfasst

In Anlehnung an die bundesrätliche Antwort vom 9. Mai 2012 steht also fest: Art. 215 StGB erfasst einzig Ehen, die nach schweizerischem Zivilrecht anerkannt sind. Davon explizit ausgenommen ist die islamische Nikah, sofern sich das Paar nicht vorgängig durch eine zivilstandesamtliche Heirat trauen lässt. Damit macht sich ein Muslim, der in islamischer Mehrehe lebt im Sinne von Art. 215 StGB nicht schuldig.

Bestraft kann allenfalls ein in der Schweiz ansässiger Imam werden, der sich über die gesetzliche Priorisierung der Zivilehe hinwegsetzt und Kraft seiner religiösen Autorität eine Nikah vollzieht, bevor sich das Paar zivilrechtlich trauen gelassen hat.

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