Bern, 5.1.2009
(un) In den letzten Wochen wurde das Thema, Gesichtsschleier im öffentlichen Raum, mehrfach in den Medien thematisiert. Gleichzeitig traten verschiedene Politiker mit ihren Forderungen nach einer Einschränkung des Gesichtsschleiers an die Öffentlichkeit. Diese Forderungen sind nicht neu, jedoch zum jetzigen Zeitpunkt von einer grossen Brisanz. Bis anhin hat aber kein Dialog mit den Betroffenen, sprich Muslimas, welche den Gesichtsschleier tragen, stattgefunden.
Als Kritik am Gesichtsschleier wird immer wieder erwähnt, dass er den Frauen aufgezwungen würde. Viele können sich nicht vorstellen, dass eine Frau sich bewusst zu diesem Schritt entscheiden kann. Mir ist jedoch kein Fall bekannt, in welchem der Gesichtschleier unter Zwang getragen wird, weder physischer noch psychischer Natur. Bevor eine Muslima den Gesichtsschleier anzieht, setzt sie sich intensiv mit dem Islam auseinander und entscheidet sich ganz bewusst dafür. Sie sieht darin eine Freiheit, einen festen Bestandteil ihres Glaubens zu praktizieren.
Ein weiterer häufiger Kommentar ist: „Die dürfen ja nicht mal alleine ihr Haus verlassen.“ Daraus ist zu schliessen, dass viele annehmen, dass Muslimas von ihren Männern gebeten werden, nicht am öffentlichen Leben teilzunehmen. Dies ist jedoch die falsche Schlussfolgerung aus der Tatsache, dass sich viele Muslimas zunehmend nicht mehr alleine in der Öffentlichkeit bewegen. Die wahren Gründe sind Angst vor den abfälligen Kommentaren, Beleidigungen und auch physischen Übergriffen. Kommentare wie von Boris Banga (SP) gegenüber 20 Minuten (11.12.09): „Bei uns ist drei Tage Fasnacht und dann ist Schluss,“ tragen sicher nicht zur Entspannung der Lage bei.
Der Gesichtsschleier wird in den Medien immer wieder als Unterdrückung der Frau dargestellt. Dieser Ansicht ist auch Christophe Darbellay (CVP) mit seiner Aussage im Tages-Anzeiger vom 8. August 2008: „Die Burka ist ein Zeichen der Unterdrückung der Frau.“. Auf welcher Wissensgrundlage oder Annahme basiert diese Aussage? Es entsteht der Eindruck, dass er dabei nur von seiner eigenen religiösen und kulturellen Überzeugung auf andere Religionen und Lebensformen schliesst. Jedoch muss bedenkt werden, dass wir heute in einem globalisierten Zeitalter leben. Dies hat einige Vorteile für die Schweiz und seine Bevölkerung, gleichzeitig muss anerkannt werden, dass durch die Globalisierung nebst Sushi, Kebab und Mangos auch neue Denkweisen und Lebensformen ihren Weg in die Schweiz finden.
Oft fühlten sich Passanten auch durch die schwarze Farbe der Kleidung bedroht. Dies sei unmöglich, so ganz in schwarz gekleidet zu sein, ist ein häufig geäusserter Vorwurf. Hier sei zu bedenken, dass nicht nur die verschleierten Muslimas oft ganz in schwarz gekleidet sind, sondern andere Gruppierungen sich auch vorwiegend schwarz kleiden. Im Islam ist die Farbe der Kleidung nicht vorgeschrieben. Es sollten jedoch dezente Farbtöne sein. Es sind folglich modische Gründe, dass oft schwarz getragen wird. Aber sollte in der Schweizer Gesellschaft nicht jeder seine modischen Vorlieben leben dürfen, ohne dafür verurteilt zu werden?
Die Schweiz beruft sich in ihrer Verfassung darauf, die Religionsfreiheit zu wahren. Dies beinhaltet auch das freie Praktizieren der jeweiligen Religionen. Immer wieder werden Muslimas mit Gesichtsschleier in der Öffentlichkeit darauf hingewiesen, dass sie hier in einem „freien Land“ seien. Sie müssten sich nicht verschleiern und hätten nichts zu befürchten. Aber genau dies ist der Punkt. Wir fühlen uns frei und entscheiden uns für den Gesichtsschleier, da er für uns fester Bestandteil in der Ausübung unserer Religion ist.
Für die Zukunft wäre es sicher förderlich, wenn ein Dialog stattfinden würde, wie er auch in anderen Ländern üblich ist. Als Beispiel sind die Vereinigten Arabischen Emiraten aufzuführen. Dort leben eine grosse Anzahl Ausländer anderer Religionen und praktizierende Muslime zusammen. Niemandem wird die Lebensform des Anderen aufgezwungen und doch wird im gleichen Büro gearbeitet, sowie auch das öffentliche Leben geteilt. Ebenso ist es auch ein beliebtes Reiseziel für westliche Touristen, die dort ohne Einschränkungen ihre Ferien in allen Facetten geniessen können. Wäre es in der Schweiz ebenfalls möglich anderen Lebensformen mehr Akzeptanz entgegen zu bringen, könnten die Muslimas mit Gesichtsschleier auch wieder vermehrt ihre Freiheiten wahrnehmen. Es wäre ihnen möglich sich wieder frei in der Gesellschaft zu bewegen und auch Positionen in der Arbeitswelt zu belegen. Zudem sollte auch bedacht werden, dass es heutzutage nicht nur Immigrantinnen sind, welche sich für das Praktizieren des Islams in dieser Form entschieden haben, sondern auch gebürtige Schweizerinnen.
Die Autorin ist gebürtige Schweizerin. Sie konvertierte 2003 zum Islam, heiratete einen ebenfalls zum Islam konvertierten Schweizer und lebt zuweilen in Kairo und Bern. Die in jüngster Zeit zunehmende Dichte des mitteleuropäischen Islamdiskurses veranlasste die 25-Jährige, sich für das Selbstbestimmungsrecht muslimischer Frauen einzusetzen. Als „aufgeklärte“, im westlichen Kulturkreis aufgewachsene Schweizerin, fühlt sie sich nicht etwa durch ihre N.B. freiwillige Wahl des Gesichtsschleiers, sondern durch die immer zahlreicheren politischen Bevormundungsversuche eingeengt.