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Vom 16.-17. Mai 2018 verhandelt das Schweizer Bundesstrafgericht in Bellinzona eine Anklage der Bundesanwaltschaft gegen zwei Vorstandsmitglieder und den Präsidenten des Islamischen Zentralrats Schweiz (IZRS). Der Vorwurf lautet: Propaganda für Al-Qaida. Wie kam es dazu?

Kurzüberblick

Naim Cherni, der Kulturproduzent des IZRS, drehte Anfang Oktober 2015 in Syrien einen Dokumentarfilm sowie ein Exklusivinterview mit Dr. Abdullah al-Muhaysinî, einem als Schlichter und Brückenbauer bekannten unabhängigen Rebell mit islam(ist)ischem Hintergrund. Der Filmemacher Cherni reiste 2015 zum wiederholten Mal ins syrische Rebellengebiet, dieses Mal im Schatten des scheinbar unaufhörlichen Erstarkungsprozesses des „Islamischen Staats“. Im Bewusstsein um die Schwierigkeiten, die sich durch die Expansion und das rücksichtslose Handeln des IS für die übrigen Rebellen in Syrien ergaben, plante der IZRS-Kulturproduzent den Fokus des Filmdrehs erstmals auf die Dekonstruktion der IS-Diskurse zu richten. Cherni ging es darum, sich kritisch mit den vom IS gegen die übrigen Rebellen ins Feld geführten Argumenten auseinanderzusetzen. Der IS behauptete in seiner Propaganda stets, die übrigen Rebellen seien reine Säkularisten und zeigten kein Interesse daran, eine post-revolutionäre Ordnung auf der Basis des islamischen Rechts, der Sharî‘a zu errichten. Diese Behauptung reflektierte Cherni im Zuge seines Dokumentarfilms „al-Fajr as-Sâdiq – The True Dawn in Syria (12/2015)“ kritisch.

Während diesen Dreharbeiten ergab sich ad hoc die Möglichkeit, ein Interview mit Dr. Abdullah al-Muhaysinî aufzunehmen. Al-Muhaysinî machte durch seinen Vermittlungsversuch zwischen den Rebellen und dem ISIS von Anfang 2014 prominent von sich reden. Nachdem der ISIS sich weigerte, von seinem Suprematieansprach Abstand zu nehmen, erklärte der unabhängige al-Muhaysinî den geeinten Kampf gegen die Extremistengruppe für gerechtfertigt. Ein Gespräch mit ihm über die Hintergründe seiner IS-Kritik erschien Cherni als spannend, mehr noch dienlich im Kampf gegen die IS-Narrative.

Im Nachgang an die Publikation der beiden Produktionen behauptete Fabian Eberhard, damals Journalist bei der „Sonntagszeitung“ – bar jeder Expertise, der IZRS würde mit al-Muhaysinî einem „Al-Qaida-Führer“ Plattform bieten. Der Strafrechtsprofessor Marc Forster von der Universität St. Gallen liess sich auf Anfrage der Pendlerzeitung „20 Minuten“ zur Aufforderung hinreissen, die Bundesanwaltschaft müsse eine Untersuchung eröffnen.
Tatsächlich eröffnete jene knapp zwei Wochen nach diesen Medienberichten zunächst ein Strafverfahren gegen Cherni. Es bestehe der Verdacht auf Propaganda für die verbotene Gruppierung Al-Qaida in Wiederhandlung gegen das Bundesgesetz über das Verbot der Gruppierungen «Al-Qaïda» und «Islamischer Staat» sowie verwandter Organisationen. Im November 2016 erklärte Bundesanwalt Michael Lauber in einem Interview mit der NZZ, dass man das Verfahren auf den Präsidenten und den Kommunikationsverantwortlichen ausgeweitet habe.

Der IZRS-Gesamtvorstand sowie die Generalversammlung stellten sich in der Folge geschlossen hinter die beschuldigten Vorstandsmitglieder: „Die Vorwürfe der Bundesanwaltschaft sind nicht nachvollziehbar und tragen die Handschrift einer politisierten Justiz, die unter dem Deckmantel der Terrorbekämpfung verfassungsmässige Grundrechte einzuschränken versucht, soweit jene von Muslimen in Anspruch genommen werden“, sagte Generalsekretärin Ferah Ulucay anlässlich der Generalversammlung 2017.

Die drei Beschuldigten weisen die Vorwürfe ihrerseits kategorisch zurück. Weder haben die Produktionen Chernis propagandistischen Charakter, noch ist al-Muhaysinî ein Mitglied der Al-Qaida oder sonst einer gesetzlich verbotenen Organisation. Sie verstehen das Verfahren als ein politisch motiviertes mit dem Ziel, den Islamischen Zentralrat zu stigmatisieren. Sie betonen in guter Absicht und im Rahmen der vom IZRS bereits 2014 aufgenommenen Präventionsarbeit gegen den IS-Extremismus gehandelt zu haben.

Politischer Schauprozess

Der IZRS sieht dem politischen Schauprozess Mitte Mai in Bellinzona mit grosser Gelassenheit entgegen. Der Vorstand ist sich keiner Schuld bewusst und betont, dass man sich durch die Machenschaften der Bundesanwaltschaft weder in der Ausübung von Grundrechten einschränken noch beunruhigen lasse.
Die Anklage wurde mittlerweile detailliert zur Kenntnis genommen. Der Ball liegt nun im Spielfeld des Bundesstrafgerichts, sich kritisch und tiefgründig mit den haltlosen Anschuldigungen auseinanderzusetzen.
Die Öffentlichkeit ist aufgerufen, den beispiellosen Prozess aus der Nähe zu beobachten. Der IZRS kündigt an, in den kommenden Wochen eine offensive und transparente Kommunikationsstrategie zu verfolgen.

Details zur Hauptverhandlung

Datum: 16.-17. Mai 2018 ab 08:30 Uhr
Urteilseröffnung: 15. Juni (Nachmittag)
Adresse: Viale Stefano Franscini 7, 6500 Bellinzona, Schweiz
Spruchkörper: Miriam Forni (Vorsitz), Giuseppe Muschietti (Beisitz), Martin Stupf (Beisitz) Sprache: Deutsch
Typus: Öffentliche Verhandlung

Faktenchecks

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