Bern, 10.05.2010

Kommentar von Abdel Azziz Qaasim Illi zum „Sonntag“-Interview mit BR Eveline Widmer-Schlumpf

Wer heute die Zeitung „Sonntag“ auf Seite sechs aufschlug und das Kurz-Interview der Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf las, hatte die Gelegenheit, sich über ihr Verständnis von Freiheit und Integration zu informieren. Ich habe mir erlaubt, ein paar Aussagen der Frau Bundesrätin im Folgenden zu kommentieren:

In ihrem Plädoyer gegen die „Burka“ nennt sie vor allem die „visuelle Erkennbarkeit“, das „Sicherheitsgefühl“ und die „Berechenbarkeit“ als positive Argumente für ein Verbot. Indes ist mir nicht ganz klar, wie sie diese rein subjektiven Kategorien, zumal Gefühle und Annahmen, in eine rationale Gesetzesform übertragen möchte. Wenn man die „Berechenbarkeit“ einer Person in Verbindung mit dem „Sicherheitsgefühl“ seines potentiellen Gegenübers als Grundlage für ein Verbot heranzöge, so müsste man konsequenterweise den Alkoholkonsum, bzw. das sich öffentlich im alkoholisierten Zustand bewegen, gleichermassen einschränken oder verbieten.

Die Begründung erscheint mit Bezug zu einer heterogenen Gesellschaft wie der unsrigen, sehr fadenscheinig und wenig schlüssig, zumal man sich auch mit wesentlich groteskeren Formen öffentlicher Erscheinungsbilder ohne Verbots-Debatte abgefunden hat.

Auf die Frage, ob an den Schulen die Verschleierung oder das Kopftuch zuzulassen sei, antwortet die Justizministerin ausweichend. Sie verpasst es, zwischen dem Gesichtsschleier und dem Hijab zu unterscheiden und unterlässt es, sich klar zur Kultusfreiheit, d.h. zum Recht eines Mädchens auf den Hijab zu bekennen. Noch dazu: Schon die Fragestellung geht von der verdrehten Annahme aus, dass ein Hijab an der Schule quasi zuerst zugelassen werden müsste, prinzipiell also verboten sei. Dies ist selbstverständlich für Schülerinnen noch nicht der Fall. Dennoch antwortete Frau Widmer-Schlumpf darauf: „Das muss man jetzt mit den Kantonen diskutieren.“

Auch die folgende Frage, ob es ihr denn um die konsequente Religionsneutralität in der Schule gehe, lässt jeden nicht-christlichen Bürger aufhorchen: Das Kreuz im Schulzimmer gehöre laut Widmer-Schlumpf zur hiesigen, „kulturellen Hauptidentität“ und störe offenbar anders als der islamische Hijab nicht. Ausserdem verfüge ein Kreuz wegen seiner kulturellen Verankerung nicht über beeinflussende Momente. Ob dies aus jüdischer, muslimischer oder andersgläubiger Sicht auch so gesehen wird, sei angezweifelt.

Die Frage nach ihrer Meinung, ob der Burkini-Mittelweg im gemischtgeschlechtlichen Schwimmunterricht eine gangbare Lösung sei, liess sie unbeantwortet, stellte aber sogleich klar, dass „ein kleines Kind, das noch nicht beeinflusst wurde“, nicht den Wunsch haben könne anders zu sein als die anderen Kinder in der Schule. Es dürfte wohl hinlänglich klar sein, dass jedes Kind unter dem Einfluss seiner so oder anders gearteten Familie steht. Je nach Glaube, Weltanschauung oder Beruf der Eltern entwickelt das Kind eine differente Identität. Ergo sollte es nicht befremden, wenn muslimische Kinder in die moralischen Kategorien des Islams hineinwachsen.

Es kann doch nicht sein, dass die Ausgrenzung des „Anderen“ in einer Gesellschaft, die den Anspruch hegt, eine pluralistische zu sein, von ihren öffentlichen Vertretern als normale, gegebene Grösse beurteilt wird. Nicht die Forderung auf den Hijab zu verzichten, sondern die Förderung der Toleranz desselben, sollte auf dem politischen Programm der Justizministerin stehen.

Weiter monierte die Bundesrätin, dass immer nur Mädchen im Zusammenhang mit Sonderregelungen und Dispensen betroffen seien. Das ist so nicht richtig. Gerade beim berühmten Schaffhauser Schwimmunterrichts-Fall, der letztlich zum nicht weniger prominenten Bundesgerichtsurteil über den Schwimmunterrichts-Zwang geführt hatte, ging es um einen Knaben.

Und zum Schluss noch dies: Wenn Muslimen aufgrund der normativen Quellentexte der Körperkontakt zum jeweils anderen Geschlecht nicht erlaubt ist, gilt dies auch, wenn Muslime mit BehördenvertreterInnen interagieren. Die hier beanstandete Haltung ist lediglich jene des normativen Islams, die im Rahmen des Rechts – so weit ich informiert bin – immer noch in die Entscheidungssphäre des Individuums fällt. Wir könnten natürlich auch hier die Handschüttel-Zwangs-Debatte eröffnen. Sicherlich liesse sich ein StGB-, notfalls ein Verfassungsartikel für den Verweigerungsfall ausarbeiten.

Lesen Sie hier das Intervew mit BR Eveline Widmer-Schlumpf im „Sonntag“ vom 9.05.2010.

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