Bern/Prizren, 01.06.2010

Von Oscar A.M. Bergamin

MuradOscar2_052010«Herr Bergamin, sind Sie nun ein liberaler Muslim oder ein konservativer Muslim», fragte kürzlich eine Journalistin. Nun, ich bete fünf Mal am Tag. Wenn ich also nur zwei Mal bete, dann bin ich liberal und wenn ich zehn Mal bete konservativ oder gar radikal? Nein, ich kann nur korrekt beten und das gilt für alle Muslime. Ist der Islamische Zentralrat Schweiz (IZRS) eine Gruppierung von Schweizer Konvertiten? Nein, das ist der Rat ganz klar nicht, auch wenn sich in den Medien immer öfter sogenannte «ausgewiesene Kenner der Materie», «Islam-Experten» oder Kolumnenschreiber und Sektenkenner zu Wort melden, die in «Essays» – also nicht mit Studien belegten Daten und Fakten – das Gegenteil behaupten. Der IZRS hat sich klar zur Schweizerischen Bundesverfassung und Rechtsordnung bekannt und seit seiner Gründung in keiner Weise auch nur irgendjemand oder irgendeine Organisation kritisiert oder sogar aufgefordert man müsse sich von diesem oder jenem distanzieren. Trotzdem verlangen Politiker aus allen Lagern von dem IZRS einen Tatbeweis dafür. Tatbeweis für was? Den Tatbeweis, dass ein Autolenker sich an die Strassenverkehrsordnung hält, kann er ja auch nur erbringen, wenn er im Strassenverkehr unterwegs ist. Oh, der IZRS würde frustrierte Jugendliche ansprechen und dies gelte es zu verhindern? Nun, ich habe selten so engagierte und zufriedene Muslime gesehen. Dies erklären «Sektenexperten» folglich durch die «gezielte Indoktrination». «Bei uns geht die Angst um, fundamentalistische Muslime würden den Religionsfrieden gefährden», schrieb der einzige Schweizer Sektenexperte in der «Tages-Anzeiger», um gleich weiter zu fahren: «Am Stammtisch wird bereits über die Gefahr von Anschlägen spekuliert». Wo? «Am Stammtisch», schrieb der «Experte», der übrigens nicht über ein Studium in dieser Richtung verfügt.

Was nicht passt» wird einfach passend gemacht

Um was geht’s letztendlich in der ganzen Diskussion? Es ist vor allem eine Debatte um die Deutungshoheit. Bestimmen zu können, was der Islam überhaupt oder ein «Islamist» im Speziellen sei oder sogar zu behaupten, dass jeder Muslim es sei, oder wer der «gute» und wer der «böse» Muslim ist, ist der Ausdruck einer starken gesellschaftlichen Machtposition. Auch wenn es weder Indizien zum «guten» oder «bösen» in die eine, noch in anderen Richtungen gibt, wird das «was nicht passt» von den sogenannten «Experten» einfach passend gemacht. Im öffentlichen Diskurs – und sicher seit der Verhaftung der sogenannten Sauerland-Gruppe in Deutschland vor einiger Zeit – finden sich immer wieder Aussagen, wonach neue Muslime, so genannte «Konvertiten», im Hinblick auf eine Neigung zu Terrorismus oder Extremismus besonders gefährdet seien und ihnen daher besondere sicherheitspolitische Aufmerksamkeit gewidmet werden müsse, wie dies kürzlich der Direktor eines Bundesamts in der NZZ am Sonntag machte, nachdem er vermutlich ein paar Zeilen des deutschen Kolumnisten Henryk M. Broder gelesen hatte. Auch wenn in letzter Zeit häufiger auch betont wird, dass diese «neuen» Muslime nicht unter Generalverdacht gestellt werden sollten – zusammen mit anderen Berichten, in denen sie als «Aussenseiter», mit psychischen Problemen behaftet oder einfach als «bizarre Gestalten» oder «Verräter» dargestellt werden, – entsteht aus verständlichen Gründen ein entsprechend unattraktives Bild von Menschen, die den Islam angenommen haben. Daher gehört der mediale Dauerbeschuss denjenigen Vertreter des Islam, die wohl in der Lage sind, den Angriffen zu trotzen. Gleichzeitig ist aber auch die allgemeine Flucht aus der Öffentlichkeit zu beobachten, die sich bei vielen Muslimen heute feststellen lässt und die man auch weniger romantisch als Folge einer Einschüchterung begreifen könnte. Wer kann es sich auch leisten, ein «Islamist» oder eine «Islamistin» zu sein, oder «Fundamentalist» oder «radikal»? Und unter diesem Druck springen sogar Muslime mit auf das Boot der Islamgegner, in dem sie sich der Terminologie der Islamgegner bedienen, und anfangen sich abzugrenzen; «Nur so können wir verhindern, dass sie diesen Rattenfängern auf den Leim kriechen», sagte kürzlich eine selbsternannte Islam-Kritikerin über den IZRS. Schafft sich so die Mehrheit mit ihren medialen Machtinstrumenten ihre religiös-neutrale Wunschgesellschaft?

Aufkommende «Schweiztümelei» und «Ballenberg-Patriotismus»

Es gibt tatsächlich eine Tendenz in Schweizer Medien, alles Islamische zu verteufeln: als Gefahr für die hier angeblich herrschende abendländisch-christliche Kultur. Dies ähnelt den jetzt tabuisierten, aber immer noch vorhandenen anti-jüdischen Vorurteilen. Man will einfach nicht wahrhaben, dass Europa in seinem Werden nicht nur vom Christen- und Judentum, sondern auch vom Islam bereichert wurde. Die aufkommende «Schweiztümelei» oder «Ballenberg-Patriotismus» profitiert offenbar von einem Feindbild-Denken, bei dem hiesige Muslime – und vor allem die «Konvertiten» – eine wichtige Rolle spielen. «Sind religiöse Menschen eingebettet in eine intakte Kultur, so ist die Neigung zur Konversion weniger ausgeprägt», sagte vor einigen Wochen ein «ausgewiesener Kenner der Materie» dem «Tages-Anzeiger». Und das ist eben absurd. Denn der Islam ist weder eine Kultur, noch an eine spezifische Kultur gebunden. Auf der einen Seite wird von muslimische Migranten verlangt, dass sie die Kultur der Herkunftsländer ablegen und sich integrieren, betrifft es auf der anderen Seite aber gebürtige Schweizer Muslime, macht man den Vorwurf diese würden «ihre Kultur verlassen».

Aufgabe für die gebürtige Schweizer Muslime

Letzte Woche war 78-jährige frühere deutsche Diplomat und NATO-Kommunikationsdirektor Murad Wilfried Hofmann zu Besuch in der Schweiz. Hofmann ist ein Veteran unter den Deutschen «Konvertiten», gehört zu den bekanntesten Muslimen in Deutschland und ist der erste «Konvertit», der im Rahmen des Dubai International Holy Quran Award ausgezeichnet wurde. Laut Hofmann haben gebürtige Schweizer Muslime die nur von ihnen zu lösende Aufgabe, «ihren Landsleuten den Islam als eine orts-und zeitungebundene Weltreligion vorzustellen». «Nur sie können den hiesigen Eindruck wirksam bekämpfen, der Islam sei eine für unterentwickelte, farbige und diktatorisch regierte Länder der Dritten Welt geeignete Religion.» Sowohl die «Konvertiten» wie auch die «gebürtigen Muslime» im IZRS haben sich dieses Anliegen schon lange zu Herzen genommen und arbeiten an diesem Bild. Wir sitzen schliesslich alle im gleichen Boot und mit uns übrigens die Christen und Juden, denn die Bundesverfassung, die Menschenrechtskonvention und die Protokolle des Europäischen Rates für Menschenrechte (ECHR) gelten eben für alle.
Bildlegende: Murad W. Hofmann (links) und Oscar A.M. Bergamin trafen sich vergangene Woche in La Chaux-de-Fonds.

Loading

Aktuellste Artikel