Martin Grichting, der Generalvikar des Bistum Churs, versuchte sich gestern im «Blick» als religionswissenschaftlicher Analytiker. Muslime hätten aus strukturellen Gründen ungleich mehr Mühe als Christen, das Gewaltmonopol des Staates anzuerkennen. Tatsächlich?
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Mit Verlaub: Mehr Habakuk hätte man nur schwer in einen einzigen Artikel packen können. Dass Religion weltweit nicht nur präsent geblieben, sondern wieder richtig relevant geworden ist, manifestiert sich weiss Gott in vielen Aspekten, nun aber wirklich nicht zwingend im Bombenterror. Und dann redet ausgerechnet ein Schweizer Vertreter des Papstes über das Gewaltmonopol, welches historisch betrachtet ein ewiger Herd des Konflikts zwischen Krone und Papst war und tatsächlich auch über die Aufklärung hinaus von der Kirche nur unter militärischem Druck akzeptiert wurde.
Dagegen ist gerade dem Islam bereits in seinen normativen Quellentexten eine strikte Obrigkeitstreue eigen. Wer dies nicht glaubt, kann es z.B. beim Reformator Martin Luther nachlesen. Jener hatte in seinen Schriften wider die Türken neben viel Spott auch schon mal Lob übrig, wenn es darum ging, Münzer und seine aufständischen Bauern zu tadeln. Lassen wir die Protestanten, welche den Aufruhr ja schon im Namen tragen, mal ausser Acht und schauen uns die Kinder der Aufklärung und ihre Einstellung zum staatlichen Gewaltmonopol an, dann wird rasch klar, dass uns der Vikar hier einen gehörigen Bären aufzubinden versucht. Waren es nicht gerade die geistigen Nachfahren Diderots, die nur neun Jahre nach dessen Ableben den König Frankreichs auf das Schafott führten und das Land mit einem seit den Religionskriegen nicht dagewesenen Terror überzogen – oder nach Grichting zitiert: «den König mit den Gedärmen des letzten Pfaffen erwürgten»?
Überhaupt ist der Versuch, die Geschichte gegen uns Angehörige des Islams auszulegen für einen Vertreter des Papsttums eine heikle Sache. Anstatt hier mit haltlosen Thesen die Muslime zu essentialisieren versuchen, wäre mit einem Blick hinter den eigenen Vorhang den Opfern sexueller Übergriffe durch Kirchenvertreter wesentlich besser gedient. Wie die jüngsten Vorwürfe gegen den Erzbischof von Lyon vermuten lassen, tut sich gerade die katholische Kirche weiterhin schwer, ihre eigenen Straftäter dem Gewaltmonopol des Staats zuzuführen.
Link zum Artikel Martin Grichtings im Blick, «Natürlich hat das auch mit dem Islam zu tun»», 24.03.2016.