NZZ – Das jüngste Gerichtsurteil zur Ausschaffungsinitiative hat auch Folgen für andere Verfassungsartikel. Gemäss Erwägungen der Richter kann auch das Minarettverbot nicht absolut gelten.
Markus Häfliger, Bern
Ein Richterspruch aus Lausanne zur Ausschaffungsinitiative löst teilweise heftige Reaktionen aus. Die SVP bezeichnet das Urteil als «schockierend». Das Bundesgericht wolle «Volk und Parlament entmachten», schreibt die Partei in einem Communiqué. Erfreut reagierte demgegenüber der grüne Nationalrat Daniel Vischer: «Das Bundesgericht bestätigt, was ich und andere im Abstimmungskampf zur Ausschaffungsinitiative immer gesagt haben.»
Das grundlegende Urteil wurde diese Woche publiziert. Das Bundesgericht kommt darin zum Schluss, dass die Umsetzung der Ausschaffungsinitiative «heikle verfassungs- und völkerrechtliche Probleme» verursache. Gemäss der Volksinitiative, die 2010 angenommen wurde, sollen Ausländer bei gewissen Delikten automatisch ausgeschafft werden. Ein solcher Automatismus kollidiert laut Bundesgericht aber mit anderen Verfassungsbestimmungen sowie mit völkerrechtlichen Verpflichtungen der Schweiz, vor allem mit der Europäischen Menschenrechtskonvention.
Die Richter machen deutlich, dass sie weiterhin jeden Einzelfall prüfen werden – und einzelne Ausschaffungen auch ablehnen könnten. Damit sagt das Bundesgericht so deutlich wie nie zuvor, dass gewisse, auch nichtzwingende Normen des Völkerrechts über der Bundesverfassung stehen (NZZ 8. 2. 13).
Minarettbau möglich
Die Argumentation des Gerichts haben Konsequenzen, die über die Ausschaffungsinitiative hinausgehen. Notabene für das Minarettverbot sei das neue Urteil «von erheblicher Bedeutung», sagt Markus Schefer, Ordinarius für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Basel. «Gestützt auf die Erwägungen des Bundesgerichts lässt sich ein absolutes Minarettverbot nicht halten.» Demnach müsse auch bei Baugesuchen für Minarette immer der Einzelfall geprüft werden, sagt Schefer. Das heisst nicht, dass Minarette immer gebaut werden dürfen. Es heisst aber, dass das Gericht sich vorbehält, das Minarettverbot in jedem Fall abzuwägen gegenüber der Glaubens- und Gewissensfreiheit und anderen Rechtsnormen.
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