Hiesige Muslime wollen nicht für die Verbrechen einzelner ihrer Glaubensgenossen verantwortlich gemacht werden. Genauso haben Schweizer Juden das Recht, nicht für die Verbrechen Israels pauschal angeklagt zu werden. Wer A sagt, muss auch B sagen – und übrigens auch umgekehrt!
Von Abdel Azziz Qaasim Illi
Die israelische Armee mordet unvermindert weiter in Gaza. Darüber erregen sich die Gemüter zu Recht. Israel hat seit Beginn des jüngsten Gaza-Kriegs schon über 750 Palästinenser getötet, darunter unübersehbar viele Kinder und Frauen und dies trotz präziser Waffentechnologie. Auf israelischer Seite fielen knapp 30 Soldaten – allesamt nachdem sie ungefragt in den Gazastreifen eingedrungen waren. Das Raketen-Feuerwerk in Richtung Israel erscheint zwar sicher nerventötend und seit viele Airlines auf den Anflug Tel Avivs verzichten auch wirtschaftlich drückend. Dennoch: Vergleichbares Leiden unter der Zivilbevölkerung könnte wohl auch eine Verzehnfachung der Angriffe aus Gaza nicht erwirken.
Es bedarf also keines weiteren Beweises, dass Israel weit über allen zulässigen Proportionen handelt. Selbst John Kerry, der von Amtes wegen angehalten ist, das in Stein gemeisselte „Recht Israels auf Selbstverteidigung“ wider jeder Sachlichkeit stramm zu verteidigen, begann unlängst ob den unverhältnismässig vielen zivilen Opfern zumindest zwischen zwei Sendepausen inoffiziell zu zweifeln.
Dass die Emotionen in so einer Situation hochgehen, ist auch dann legitim, wenn es noch Dutzende weitere Konfliktherde in der Region oder weltweit gibt, über die man sich aufregen könnte und sicher auch sollte. Der Nahostkonflikt wirkt auf Muslime besonders befeuernd, sei es wegen der arabischen Hintergrundgeschichte, die Israel als arrogantes Überbleibsel aus der europäischen Kolonialzeit darstellt oder sei wegen dem Kontrollverlust über die heiligen Stätten insbesondere in Jerusalem und Hebron. Die Liste liesse sich vermutlich noch um ein paar weitere Motive verlängern.
Es gibt also gute Gründe, dass wir Muslime Israel abgrundtief verachten. Und es ist auch nur gesund und legitim, dass wir gegen seine Verbrechen aufstehen und uns wehren – jeder auf eine adäquate Weise. Die Palästinenser vor Ort leisten bewaffneten Widerstand, wir protestieren auf Kundgebungen oder im Internet, schreiben Leserbriefe und boykottieren israelische Güter.
So weit so klar. Nun gibt es immer wieder eine kleine, jedoch lautstarke Minderheit, die nicht versteht, dass Israel zwar ein Staat mit jüdischem Charakter ist, jedoch keinesfalls das Judentum als Religion repräsentiert. Es gibt eine nicht zu übersehende Anzahl an gerade auch orthodoxen Juden, die sich völlig vom Zionismus und damit vom Staat Israel distanzieren. Für sie ist Israel nichts anders als eine Reminiszenz aus der Kolonialzeit, die sie gerne bald überwunden sähen.
Zudem handelt es sich beim Judentum wie auch beim Christentum um eine durch die islamische Offenbarung klar als ahl al-kitab (Leute der Schrift) eingeordnete und anerkannte Religionsgemeinschaft, deren friedliches Zusammenleben mit Muslimen in der islamischen Welt bis zur Staatsgründung Israels nie ernsthaft in Frage gestellt worden war.
Umso unverständlicher, dass nun im Laufe dieses Konflikts einige meinen, Schweizer Juden für die Verbrechen des Staates Israel verantwortlich machen zu müssen. Man hätte mit der gleichen Logik ja auch Schweizer Christen für die Verbrechen der Bush-Administration anklagen können, welche deutlich christlich geprägt war und teilweise sogar mit expliziter Kreuzzugsrhetorik herumfuchtelte. Macht irgendwie keinen Sinn! Warum sollen also Schweizer Juden als Religionsgemeinschaft für die Verbrechen des zionistischen Staates Israel haften?
Ist es nicht so, dass wir Schweizer Muslime uns immer wahnsinnig darüber aufregen, wenn man uns alle möglichen Verbrechen, die irgendein Muslim in irgendeinem fernen Land begeht, ankreidet und noch mehr jene mit dem Islam als Religion in Verbindung bringt? Wenn man politische Konflikte als ursächlich islamische deklariert und darauf in einer durchwegs unsinnigen Gleichung dem Islam eine besondere Neigung zum Terrorismus anzuhängen versucht?
Schweizer Muslime müssen ganz besonders darauf achten, dass sie nicht Assoziationen auf Schweizer Juden anwenden, die sie bei sich selbst so vehement ablehnen. Schweizer Medien dürften etwas konsequenter auch die Schweizer Muslime von entsprechenden Assoziationen entlasten – um nicht zu sagen in Schutz nehmen. Doch aufgepasst: Dieser Umkehrschluss erscheint dem Islamophoben genauso wenig gültig, wie meine Ausführen dem Antisemiten – ein weiterer Beweis für die von Wolfang Benz postulierte Strukturgleichheit von Islamophobie und Antisemitismus.