Hexenjagden waren gestern. Heute spielen Islam-Konvertiten nicht selten die Rolle einer opportunen Projektionsfläche für gesellschaftliche Phobien. Von Abendlandsverteidigern bis «Säkulariban» – tritt der Konvertit ins Rampenlicht, beginnt die Islam-Bashing Happyhour.
Von Abdel Azziz Qaasim Illi | @qaasimilli folgen |
Seit der Gründung des Islamischen Zentralrates liest man in der Schweizer Presse viel Negatives über Konvertiten. Anlass dazu bot die Tatsache, dass in der Gründungsphase Konvertiten stark im Vordergrund standen. Doch das Interesse hält bis heute an. Gerade letzte Woche sendete das Westschweizer «RTS» einen 15 minütigen Beitrag über Konvertitinnen und ihre Alltagsprobleme. Wie also kommt es, dass die Schweizer Medien den Konvertiten besondere Aufmerksamkeit zukommen lassen?
Diese Frage darf nicht abseits ihres gestellten Kontextes diskutiert werden. Dass der Islam anders als etwa der Buddhismus in westlichen Gesellschaften derzeit als thematisches Minenfeld wahrgenommen wird, stellt wohl niemand in Abrede. Der tobende tendenziell abstrakte «Clash of Values» – wobei Muslime nicht selten viel moderner auftreten als vorgebliche Anwälte einer wie auch immer gearteten abendländischen Moderne – verlangt nach fassbaren Feindbildern. «Den Islam» darf es (politisch) korrekterweise ja nicht nur nicht geben. Er lässt sich vor allem nur schwer anklagen. Der Prophet (saws) eignet sich dafür schon besser – doch vom intellektuellen Schwachstromspektrum einmal abgesehen, wissen die meisten islamophoben Abendlandsverteidiger gut genug, dass sie sich damit schnell auf Glatteis begeben, war doch beispielsweise Moses auch kein moderner metrosexueller Musterknabe, der den Haushalt schmiss und die Kinder in den Schlaf wiegelte, während seine Frau ihren Feierabend im Ausgang ausklingen liess.
Der Konvertit als pars pro toto für Islam?
Als Zielscheibe kommt eigentlich nur ein zeitgenössischer Vertreter des Islams in Frage. Allerdings ist Vorsicht bei der Auswahl angebracht. Auf keinen Fall soll der Linken die Möglichkeit geboten werden, ihre Rassismuskeule aus der Versenkung zu holen. Transrassistisch soll der neue Islam-Diskurs sein. Es darf nicht der Anschein erweckt werden, dass man sich an der Präsenz des Ausländers, am Albaner, Bosnier oder Araber stösst. Man tut das freilich schon, nur mit anderen Argumenten und auf anderen Bühnen. Ausserdem will man sie ja nun gegeneinander ausspielen und nicht etwa einen. Sodann darf auch die Religion an sich nicht im Zentrum der Kritik stehen. Schliesslich gehört ja das zwar – bis auf ein paar in die Moderne gerettete Reminiszenzen – untergegangene Christentum unbedingt zum Abendland. Was macht denn das Abendland noch aus, wenn Islamophobie zur Religionskritik verkommt und damit auch gleich dem Christentum den letzten Todesstoss verpasst? Die Anforderungen an den islamophoben Musterdiskurs sind zusammengefasst also: Islam minus Rassenressentiment, minus Religionskritik.
Was eignet sich denn besser als ein Schweizer Konvertit? In Sachen Rassismus ist man da schon mal auf der sicheren Seite und Religion, darum geht es doch diesen «ideologisch aufgeladenen Heissspornen» ohnehin nicht: «Rebellion gegen die Gesellschaftsordnung wie einst die RAF» lautet die Analyse schliesslich auch auf Expertenniveau. Ausserdem müssen wir an dieser Stelle in Erinnerung rufen, dass ein Konvertit immer auch ein Apostat ist. Je nach Perspektive spielt bei einer Konversion also auch die Kategorie des Renegatentums eine nicht zu unterschätzende Rolle. Darum geht es nun aber nicht.
Mit dem idealtypischen Konvertiten hat man nun eine blanke Folie geschaffen, in die jeder seine Assoziationen hineininterpretieren kann. Steht ein Konvertit auf der Bühne, ist Happyhour für alle Islam-Basher. Jetzt treffen sich die bierbauchigen Vaterlandsvertreter mit den kurzhaarigen Feministinnen und dank dem Verzicht auf Religionskritik springen auch die Christdemokraten ins Boot. Die Mehrheiten sind gemacht. Alles gegen den Konvertiten und seine radikale Ausdeutung des sonst natürlich sehr willkommenen Islams. Dank dieser neu gewonnenen Zielscheibe erfährt auch das Minarett-Verbot posthum auf wundersame Weise doch noch seine lang ersehnte moralische Rechtfertigung. Zusammen mit dem Kopftuch und dem Niqab bildet es nämlich ein Konglomerat von «Zeichen des radikalen Islams» – eben diesem Islam der Konvertiten.
In Wahrheit hat all dieses Konvertitenzeugs nichts mit dem Islam zu tun. «Steht alles nicht im Koran!» Waren nicht gerade diese radikalen Ummayaden, die da plötzlich überall in Damaskus ihre Minarette als Machtsymbole errichteten, auch Nachkommen von Konvertiten? Und die wie schwarze Krähen verschleierten Ehefrauen des Propheten? Waren sie nicht allesamt auch Konvertitinnen, Khadija die wohlhabende Handelsfrau sogar der erste Mensch überhaupt, welcher diesen psychoanalytisch noch nicht ganz erklärbaren Schritt wagte? Ja und der Prophet selbst? War der nicht ursprünglich qurayshitischer Mekkaner?
Der Qur’an kennt keinen Rassismus!
Wer den Islam und vor allem seine Entstehungsgeschichte kennt, reagiert resistent gegen diesen auf Spaltung der Muslime hinzielenden Diskurs. Der Islam ist natürlich weder eine ethnische Sippe, noch eine durch gnostische Obskurität abgeriegelte Geheimreligion, sondern ein universales System von Offenbarungen im engeren und erweiterte Sinne, woraus sich eine auf die Gemeinschaft der Muslime bezogene Ethik mit all ihren Facetten ableiten lässt. Muslim wird man durch die individuelle Affirmation des Glaubensbekenntnis und dem damit einhergehenden ethischen Handeln und nicht etwa durch die glücklichen Umstände, dass man in eine muslimische Familie hineingeboren wurde. So dann lehnt Allah (swt) im Qur’an jede Division entlang ethnischer oder rassischer Kriterien ab. Unterschiede gibt es nur hinsichtlich der Gottesfurcht und auch dies nur «vor Allah», der alleine und eifersüchtig am Tag der Auferstehung über die Güte des Menschen richten wird:
«O ihr Menschen, Wir haben euch aus Mann und Frau erschaffen und euch zu Völkern und Stämmen gemacht, auf dass ihr einander erkennen möget. Wahrlich, vor Allah ist von euch der Angesehenste, welcher der Gottesfürchtigste ist. Wahrlich, Allah ist Allwissend, Allkundig.» [HQ, 49;13]
«Säkulariban» und ihre «Hors-Sol»-Muslime
Philosophisch betrachtet erscheint der Versuch, einen Keil zwischen Konvertiten und «gebürtige Muslime» zu treiben, in einer Art sokratischer Aporie zu versinken. Dafür spricht auch die immer tiefer in den Sumpf der Unvernunft einsinkende Polemik aus den Kreisen der fortschrittlichsten unter den «Säkulariban». Der Begriff des «Säkulariban» ist erklärungsbedürftig. Damit soll ein in letzter Zeit immer radikaler auftretender Denktypus mit Hilfe der beiden im Wort verschmolzenen Teile «säkular» und «Taliban» auf den hoffentlich passenden Begriff gebracht werden. Als Prototyp dient mir dabei Saida Keller-Messahli. Im Namen eines «fortschrittlichen» Islams, womit sie eher eine bis zur Inexistenz säkularisierte Leseart des Islams meint – der Vergleich mit Hans Küng als Pendant im katholischen Milieu greift deutlich zu kurz – kämpft sie nicht primär um Verständnis für ihre Sichtweise, sondern instrumentalisiert die gesellschaftliche Islamophobie gegen alle anderen Lesearten des Islams. Sie fordert für sich und ihresgleichen lautstark Toleranz ein, will diese Toleranz aber erschöpft wissen, wenn sie Andersdenkende für ihre Leseart in Anspruch nehmen. Weil der öffentliche Diskurs die Taliban gerne mit Intoleranz in Verbindung bringt, gestatte ich mir diese Entlehnung des Begriffs, ohne damit ein qualitatives Urteil über die tatsächliche Mentalität der Taliban fällen zu wollen.
Neben Keller-Messahli, die Konvertiten bei jeder Gelegenheit als «Hors-Sol»-Muslime diffamiert, liess kürzlich auch ein Facebook-Kommentar von Mitstreiterin und Luzerner SP-Politikerin Valentina Smajli aufhorchen. Darin wirft sie einem «Migranten» vor, er lasse sich von «Schweizer Islamisten» manipulieren. Letztere wollten «unsere Religion, den Islam kaputt machen und ihr helft ihnen sogar dabei». Erstaunlich daran ist, dass eine Sozialdemokratin in eine auf den ersten Blick wenig sagende ethnische Kategorisierung von guten und bösen Muslimen verfällt. Denkt man diese (Un)-Logik ein paar Schritte weiter, landet man unversehens in dunkelbraunen Sumpfgebieten. Wer die Qualität des Muslimseins daran festmacht, ob jemand einer gewissen Rasse, Ethnie oder Nationalität zugehörig ist, der muss sich die Frage gefallen lassen, weshalb denn die Nazis falsch lagen, wenn sie die Qualität des Deutschseins an der Religionszugehörigkeit massen. Ohne dass es Smajli oder ihre Meisterin Keller-Messahli aktiv erdachten, basteln sie an den Ketten herum, welche die mühsam verschlossenen Tore in die Abgründe eines ethnisch-rassischen Bewertungsmuster des Menschseins verriegeln.
Ob diese ethnisch-rassische Abwehrhaltung gegen Konvertiten tiefenpsychologisch mit einer subjektiv oder gar objektiv erfahrenen Zutrittsverweigerung zur Schweizer Gesellschaft als vollwertige und echte Bürger – nicht «Hors-Sol» – zusammenhängt, ist aus Distanz schwer zu sagen. Zumindest würde der Verweis auf ein entsprechendes Trauma den Schweizer Konvertiten einen Weg ebnen, jene Polemik zu verstehen und vielleicht sogar in geschwisterlicher Nachsicht Vergebung zu üben.