Eine von den Nazis angesteckte Synagoge in der Kristallnacht
Eine von den Nazis angesteckte Synagoge in der Kristallnacht

Bei der gestrigen Verhandlung gegen der Kristallnacht-Twitterer vor dem Bezirksgericht Uster versuchte der Beschuldigte ex-SVPler zwar mit einer Strategie des Schweigens seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Eine Delegierte des IZRS war dabei und fasst zusammen, woran er scheiterte.

(jr) Gestern fand vor dem Bezirksgericht Uster die Verhandlung gegen den Kristallnacht-Twitterer wegen Rassendiskriminierung nach Art. 261 Absatz 4 StGB statt, dessen Name und persönliche Angaben nach einer gerichtlichen Verfügung, beantragt vom Beschuldigten, nicht weiter veröffentlicht werden dürfen.

Neben dem Beschuldigten und seinem Anwalt waren auf Seiten des Anklägers der Staatsanwalt Kehl sowie die beiden muslimischen Privatkläger mit ihrem ebenfalls als Privatkläger auftretenden jüdischen Anwalt Dr. Gibor anwesend. Der Eröffnung des Verfahrens folgte die Einvernahme des Beklagten, der sich allerdings in keiner Weise zu den gegen ihn vorgebrachten Vorwürfen äussern wollte und somit seine Strategie des Schweigens fortsetzte, die er bereits seit der zweiten Einvernahme am 11.02.2013 verfolgt.
Einzig bei der ersten staatsanwaltschaftlichen Einvernahme am 26.06.2012, also drei Tage nach der zu verhandelnden Tat, machte der Beklagte eine Aussage, in der er die ihm zu Last gelegten Nachrichten zugab, allerdings nicht ohne zu betonen, sie seien nur verkürzt und aus dem Kontext gerissen wiedergegeben worden, er habe wohl ein wenig provozieren wollen und etwas Dummes und unüberlegtes gesagt.

Eine Einsicht, die er später nach Auffassung der Privatkläger und mit Verweis auf eine Stellungnahme im Tagesanzeiger offenbar nicht mehr hatte. Vielmehr stellte er sich mit der ansteigenden medialen Aufmerksamkeit zunehmend als Opfer einer Hetzkampagne dar, das seinen Arbeitsplatz und sein soziales Umfeld aufgrund einer Nichtigkeit verloren habe.

Die Staatsanwaltschaft warf dem Beschuldigten mehrfache Rassendiskriminierung durch drei Tweets vor, die am 23.06.2012 auf dessen Account erschienen waren. Im ersten forderte er das „Pack“ solle „aus dem Land geworfen werden“, da er mit so etwas nicht zusammenleben wolle. Er bezog sich dabei vage auf seine Entrüstung über den Freispruch eines Muslims vor dem Basler Gericht, der öffentlich geäussert haben soll, es sei in bestimmten Situationen im Islam legitim, die Ehefrau zum Geschlechtsverkehr zu zwingen. Hierauf folgte der zweite Tweet, in dem er forderte: „Vielleicht braucht es wieder eine Kristallnacht, diesmal für Moscheen“.

Nachdem er die Kritik eines „Followers“ aggressiv abgeschmettert hatte, folgte die letzte, in den Augen der Staatsanwaltschaft relevante Äusserung, gemäss der der Beschuldigte gerne den einen oder anderen „an die Wand stellen“ und „erschiessen“ würde, denn dann hätte es „Dreck weniger auf Erden“. Die Staatsanwaltschaft warf dem Angeklagten, der sich selbst als geschichtsinteressiert bezeichnete, vor, mit dem Terminus „Kristallnacht“ bewusst auf den Völkermord an den Juden angespielt zu haben, die Tat in diesem Wortlaut zu legitimieren und auch eine Wiederholung gegen Muslime als probates Mittel anzusehen.

Die auf Twitter getätigten Aussagen seien als öffentlich zu werten und zudem nicht im Rahmen einer politischen Diskussion getätigt worden, da das Thema vom Beschuldigten frei gewählt wurde. Vom unabhängigen Durchschnittsleser könnten die getätigten Aussagen ohne weiteres objektiv als anstössig und diskriminierend wahrgenommen werden, was auch einige direkte Reaktionen auf den Kristallnacht-Tweet belegten, und selbst nach einer Recherche des Zusammenhangs, also der vorhergehenden und folgenden Tweets bestätige sich dieser Eindruck.

Hass gegen Frauen, Muslime und Schweizer

Zudem sei aus früheren Onlinekommentaren des Beschuldigten deutlich ersichtlich, dass dieser durchaus in der Lage sei, mit den Thematiken und Begrifflichkeiten im Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus in einer adäquaten Weise umzugehen.
Den Ausführungen der Staatsanwaltschaft folgte das Plädoyer Dr. Gibors, der, wenn auch mit etwas abweichender Argumentation, in seiner Ansprache der Linie der Staatsanwaltschaft folgte und darüber hinaus auf einige Unstimmigkeiten in der Aussage des Beschuldigten aufmerksam machte, der behauptete, er habe die betreffenden Tweets „mitten in der Nacht“ und „nicht in bester Verfassung“ abgesetzt. Dies sei nachweislich falsch und dient nach Auffassung der Klägerschaft schlicht der Verschleierung. Ausserdem zeigten zahlreiche, wenn auch strafrechtlich nicht relevante Tweets, die durch den Beschuldigten im Juni 2012 veröffentlicht wurden, die frauenfeindliche, islamophobe und andere Gruppierungen diskriminierende Haltung des Beklagten: So äusserte er am 04.06.2013, dass die Zahl der Vergewaltigungen in Basel stetig ansteige, sodass wohl bald alle nur noch in Burkas herumliefen, dass er es bedauere, dass es noch keine „Linke“ getroffen habe und dies wohl damit zu erklären sei, dass die „Linken“ zu hässlich seien für Nordafrikaner. Des weiteren betitelte er Frauen allgemein als „Schlampen“, „fette (alte) Weiber“, „Scheissemanzen“, „prüde Tussis“ und vieles mehr. Die „Linken“ müssten alle erschossen werden, seien dumm und „Arschlöcher“. Er könne den Islam nicht ausstehen, „die“ reden schon wieder „von keinem Sex vor der Ehe und so nen Scheiss“, er forderte einen Nacktmarsch saudischer Frauen nach Mekka, bezeichnete die USA als „scheiss Talibanland“ und ausserdem hätten auch 99% der Schweizer sowieso nur einen IQ von unter 40. Diese Haltung des Angeklagten, die hier nur durch eine kleine Auswahl an Äusserungen dargestellt wurde, zeigt seine Gesinnung gegen alles als von ihm nicht zu seiner Welt gehörend empfundene deutlich.

Trotz seines hohen Bildungsstandes und der Selbstbezeichnung als „Geschichtskenner“ habe der Beklagte ein Vorgehen wie das der Reichskristallnacht legitimiert und seine Wiederholung in Bezug auf Moscheen gefordert, wobei das Ziel, die muslimischen Gotteshäuser als zentraler Ort der Glaubenspraxis als stellvertretend für den Hass auf den Islam und damit auch auf dessen Angehörige, nämlich die Muslime gewertet werden müsse. Die Forderung nach einer Kristallnacht gegen Moscheen und die Muslime, mit all den grausamen Konsequenzen die uns die Geschichte gelehrt habe, spreche den Muslimen ihre Existenzberechtigung ab und würdige sie herab. „Man braucht vielleicht eine neue Kristallnacht“, also sei auch die erste 1938 legitimiert und es bestehe die Notwendigkeit einer neuen, wobei das Wort „vielleicht“ hier lediglich als sprachliche Absurdität zu werten sei. Gerade im Kontext mit dem ersten Tweet über das aus dem Land zu werfende Pack und dem dritten, in dem er offen über die Erschiessung von Menschen sinnierte, sei die Intention des Beklagten glasklar.

Die Verteidigung des Angeklagten konzentrierte sich anschliessend vor allem auf die Beweise der Staatsanwaltschaft und deren Beschaffung. Konkret sollen die vorliegenden Screenshots der betreffenden Twitternachrichten, die vom Beschuldigten bereits wenige Minuten nach Veröffentlichung unwiderruflich gelöscht wurden, gefälscht sein, die Protokolle der Nachrichten, die auf Servern aus dem Ausland, namentlich in Kanada und den USA (Sysamos und Perople Browser) lagerten, ohne das in diesem Fall notwendigen Rechtshilfeverfahrens beschafft worden und somit rechtswidrig sein. Zudem wurde bezweifelt, dass die besagten Protokolle vollständig und aussagekräftig seien. Ganz unabhängig davon entstanden die beklagten Tweets gemäss der Verteidigung innerhalb einer politischen Diskussion und auch die für die Anwendung der Strafnorm 261 Absatz 4 StGB notwendige Öffentlichkeit sei nicht gegeben, da nicht beweisbar sei, wie viele Nutzer sie denn tatsächlich gelesen hätten. Die Nachrichten seien, wie bereits vom Angeklagten in der ersten Einvernehmung ausgesagt, aus dem Kontext gerissen und zudem verkürzt dargestellt, er habe den Zusatz geschrieben „damit die Regierung endlich aufwacht“. Er habe damit seine Besorgnis über das Erstarken radikale Islamisten zum Ausdruck bringen wollen. Dass in dieser Logik dann aber eine Kristallnacht von Muslimen ausgehen und nicht gegen sie ausgeführt werden müsste, darauf hatte bereits die Privatklägerschaft im Vorfeld hingewiesen. Seinem Mandanten sei erheblicher Schaden durch die mediale Hetzkampagne zuteil geworden. Dann verstieg sich der Verteidiger in einen heiklen Vergleich mit Katharina Blum, die in einem Roman Heinrich Bölls als unbescholtene Bürgerin Opfer einer medialen Hetze wurde.

Der feine Unterschied zwischen Katharina Blum und dem Beklagten Kristallnacht-Twitterer sei jedoch, dass letzterer nicht unschuldig sei, bemerkte das Gericht letztlich in seiner Urteilsverkündung.

Fehler bei der Beweisführung 

Zwar konnte der Angeklagte nur wegen des Kristallnacht-Tweets schuldig gesprochen werden, da für die beiden anderen Nachrichten nur die nicht über den Rechtsweg beschafften Protokolle als Beweis vorlagen, was das Gericht letztlich honoriert wurde. Doch den Tatbestand der Rassendiskriminierung sah das Gericht subjektiv und objektiv als erfüllt an. Der Beschuldigte habe bewusst gehandelt, schliesslich sagte er ja bereits selbst aus, er haben „vielleicht etwas provozieren“, also auch viele Menschen erreichen wollen und musste sich somit auch über die Konsequenzen und die Wirkung auf den Durchschnittsleser im Klaren sein. Selbst wenn der Zusatz „…damit die Regierung endlich aufwacht“ real gewesen war und nicht nachträglich hinzugefügt wurde, so ändere sich nichts an dieser Tatsache. Mit der Aussage, es brauche eine Kristallnacht, implizierte er, es habe eine Notwendigkeit für besagtes Verbrechen gegeben, dass den Übergang vom Antisemitismus zur systematischen Ausrottung des europäischen Judentums markierte und es gebe sie wieder, mit all ihren Konsequenzen für die Muslime. Der Angeklagte rechtfertige damit den Völkermord an den Juden und diskriminiere die Muslime in erheblicher Form, ja negiere gar deren Existenzberechtigung.

Meinungsäusserungsfreiheit ist kein Freibillet für blinen Hass

Eine Verurteilung wegen Rassendiskriminierung verstosse ausserdem nicht gegen das Recht auf freie Meinungsäusserung gemäss Artikel 10 Absatz 2 EMRK, weil die Aussagen nicht im Zuge einer politischen oder historischen Debatte getroffen wurden. Wenn auch subtil und indirekt, so habe sich der Beklagte aus nichtigem Anlass keinesfalls einer leichten Tat schuldig gemacht, auch wenn eine geringe kriminelle Energie festzustellen sei.

Strafmildernd wirkten lediglich das vom Angeklagten abgelegte Teilgeständnis in der ersten Einvernahme sowie die Tatsache, dass die mediale Aufmerksamkeit dem Beklagten bereits erhebliche Schwierigkeiten wie den Verlust des Arbeitsplatzes und des sozialen Umfelds einbrachte.

Es bestehe keine Strafmehrheit, weswegen die bedingte Geldstrafe von 75 Tagessätzen zu je CHF 120.- relativ mild aber angemessen ausfällt. Die Strafe ist mit drei Jahren Probezeit belegt und der im Zuge des Verfahrens entstanden Tag in Haft wird angerechnet. Hinzu kommt eine Busse von CHF 1800.- Ausserdem trägt der Beklagte die Kosten des Verfahrens. Für etwaige Ansprüche der Privatkläger verwies der Richter an das Zivilgericht.

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