Von Abdel Azziz Qaasim Illi
Kairo, 05.12.2011
Die EU weitet Sanktionen aus, der US-Senat stimmt einstimmig für ein Gesetz, das die Zusammenarbeit mit der iranischen Notenbank unter Strafe stellt und allen ausländischen Finanzinstituten androht, bei Zuwiderhandlung den Zugang zum US-Finanzmarkt zu blockieren. In den USA verbreitet das Justizministerium Gerüchte über einen Anschlagsversuch iranischer Agenten auf den Botschafter Saudi-Arabiens. Die Bundesregierung in Deutschland malt zum wiederholten Mal Szenarien über einen bevorstehenden Angriff auf die US-Basis Rammstein, während der britische Aussenminister William Hague in sichtlich euphorischer Tonlage vor dem Unterhaus die Ausweisung aller iranischen Diplomaten verkündet.
Die Anzeichen für eine Eskalation des Atomstreits zwischen dem Westen und Iran verdichteten sich diese Tage dramatisch. Die Öffentlichkeit absorbiert derzeit eine Flut an Nachrichten über angebliche Verfehlungen und geplante Anschläge – angereichert mit der seit Jahren geschürten Angst vor der iranischen Atombombe. Interessant ist die Koinzidenz mit den ersten freien Wahlen in Tunesien und Ägypten. In beiden Ländern zeichnete sich schon seit Monaten ein klarer Trend zu den islamischen Parteien ab. Experten sind sich wohl bewusst, dass auch der Wahlerfolg in Marokko und die heute schon starke Position islamischer Kräfte in Libyen nicht als Zufälle beschrieben werden können. Scharfe Zungen meinen schon, dass die Angst vor einem möglichen Wahlsieg der Muslimbrüder in Syrien den Westen bisher daran gehindert habe, gegenüber al-Asad eine entscheidende Position einzunehmen.
Man darf sich zu Recht fragen, weshalb die deutlich von Grossbritannien und den USA angetriebene Eskalation mit Teheran gerade jetzt in einer Phase kommt, in der die befreiten arabischen Staaten dabei sind, durch Parlamentswahlen über ihre Zukunft selbst zu bestimmen. Wäre dafür regionale Stabilität nicht das geeignetere Umfeld, als die Perspektive eines umfassenden Konfliktes? Oder stehen bei den zwei Westmächten andere Interessen höher im Kurs als freie und gerechte Wahlen? In Kairo jedenfalls erinnert man sich noch gut an die zögerliche US-Regierung im vergangenen Januar, als bereits Hundertausende seit Wochen den Abgang Hosni Mubaraks auf dem Tahrir forderten. Schon damals kamen Zweifel um die Ernsthaftigkeit amerikanischer Demokratiewünsche für den Nahen Osten auf. Die Lieferung von rund 20 Tonnen CR-Tränengas durch eine US-Firma ans ägyptische Innenministerium seit dem Ausbruch der Revolution hat den Zweiflern zusätzlichen Auftrieb verschafft.
Die Frage nach dem Warum gerade jetzt ist auch darum brisant, weil das Verhältnis zwischen den Arabern und den Iranern seit dem Arabischen Frühling alles andere als klar ist. Jahrzehnte lang galt dem ägyptischen Regime der Iran als potentiell subversiv wirkendes Vorbild in der islamischen Welt, nachdem es dem iranischen Volk bereits 1979 gelungen war, den verhassten Shah Reza zu stürzen und im Anschluss eine islamische Republik, mitunter auf den Ideen des 1966 unter Gamal ‘Abd an-Nasr hingerichteten Sayyid Qutbs, zu errichten. Hosni Mubaraks Staatsapparat verstärkte in den vergangenen Jahren seine Bemühungen gegen «iranische Einflussnahme» nicht nur mit politischen Schauprozessen gegen angebliche Spione und Agenten, sondern auch mit für sein Regime eher untypischen Methoden religiöser Propaganda gegen die Schiiten. Im Januar 2008 verteilten auf der Kairoer Buchmesse Duzende Zivilpersonen DVDs aus saudi-arabischer Produktion, mit dem Anspruch, über «das Übel der Rafida» aufzuklären. Dabei handelte es sich gemäss Urheber um Mitschnitte ultra-radikaler Mullahs, die gegen Prophetengefährten wüste Verwünschungen aussprachen oder die scheinbare Lynchung eines Sunniten – angeblich im Iran – zeigten.
Iranisch-Ägyptische Beziehungen wärmen sich rasch auf
Diese Szenen stammen gewissermassen aus dem arabischen Winter, als Mubarak noch fest im Sattel sass und die Folterknechte der Staatssicherheit auf Hochtouren Muslimbrüder und «iranische Agenten» examinierten. Dass die politischen Karten im gesamten Nahen Osten neu gemischt werden könnten, zeichnete sich eigentlich bereits kurz nach Ausbruch der Revolution am Nil ab, als am 22. Februar zum ersten Mal seit 1979 ein iranisches Kriegsschiff trotz wütendem Protest in Tel Aviv und Washington den Suez-Kanal passierte. Dabei sollte es nicht bleiben. Im vergangenen August fanden in Kairo hochrangige Treffen zwischen ägyptischen und iranischen Diplomaten statt. In einer anschliessenden Stellungnahme des Aussenministeriums in Kairo betonte Sprecherin Menha Bakhour: «We are prepared to take a different view of Iran. The former regime used to see Iran as an enemy, but we don’t.»
Während in Kairo offensichtlich eine Annäherung an den Iran wieder zur Debatte steht, kühlen sich die Beziehungen zu den USA und seinem Verbündeten Israel zusehends ab. Davon zeugte z.B. die als äusserst frostig beschriebene Inaugurationszeremonie der neuen US-Botschafterin, Anne Patterson oder die wiederholte Ablehnung US-amerikanischer Kreditangebote, die als politische Einmischungsversuche gewertet werden.
Nach dem doch unerwartet deutlichen Ausgang der Unterhauswahlen in Ägypten hat Washington allen Grund eine engere Kooperation zwischen Kairo und Teheran und damit ein potentielles Durchbrechen der rigiden Sanktionen zu befürchten. Grundlegend dürften dabei noch nicht einmal die konvergenten Philosophien über einen islamischen Holismus, also ein alle Bereiche des menschlichen Lebens umfassendes islamisches System, sein, sondern vielmehr wirtschaftliche Interessen. Ägypten ist mit über 80 Millionen Einwohnern die gewichtigste arabische Volkswirtschaft und damit ein auch für den Iran sehr interessanter Handelspartner. Gut möglich, dass die befreiten arabischen Völker, die sich zunächst mal für eine islamische Politik ausgesprochen haben, nunmehr das Prinzip der wihdat al umma (Einheit der islamischen Umma) wieder beleben und damit der US-amerikanischen divide et impera-Strategie einen harten Schlag versetzen.
Gut möglich, dass Washington und London dieses Problem kommen sehen und aus Angst, die letzte Gelegenheit zu verpassen, fortan an der Eskalationsspirale drehen. Ob diese Strategie den schwindenden Einfluss der beiden Westmächte im Nahen Osten zu stoppen vermag oder die Entschlossenheit der befreiten Araber, ihre Freiheit zu nutzen und ausländischen Diktaten mittels ihres Rechts auf Selbstbestimmung zu trotzen mindern kann, ist äusserst fragwürdig.
Vortragshinweis: Arabischer Frühling, der Iran und der Westen – Perspektiven der Revolution, Einheit oder Antagonismus? am Freitag, 23.12.2011 um 19.30 Uhr im Zunftsaal (Blue Monkey), Stüssihofstatt 3, 8001 Zürich. Referenten: Abdel Azziz Qaasim Illi und Nicolas Blancho (Chancen und Gefahren einer islamischen Politik). Eintritt frei.