Bern, 16.09.2010
(qi) Eine Interpellation des SVP-Kantonsrates Hermann Lei (Frauenfeld) provozierte gestern bereits bei der Frage, ob überhaupt auf die Debatte einzutreten sei, einen emotionalen Schlagabtausch im Thurgauer Kantonsrat. Lei, der als strammer Vertreter einer intoleranten Leseart des Christentums auftrat, verlangte die Rückbesinnung auf christliche Werte und Bräuche an den Schulen. Ausserdem müssten für alle Schülerinnen und Schüler gleiche Regeln gelten. Inhaltlich ging des dem SVP-Mann jedoch vor allem um «Kopftücher» in der Schule und um «Burkas» im Schwimmunterricht. Mit 46 zu 36 Stimmen gelang es ihm letztlich doch noch, eine Mehrheit des Rates auf seine Seite zu ziehen. Wann über die Re-Christianisierung der Thurgauer Schule debattiert wird, steht noch nicht fest.
Lei griff Regierungsrätin Knill und deren Leitbroschüre zum Umgang der Schulen mit religiösen Fragen an: Es gebe wohl eine Broschüre des Volksschulamtes, wie die Schulen mit Fragen der Religion umgehen sollten. Doch es sei falsch, «Burkas im Schwimmunterricht» und «Kopftücher im Unterricht» zuzulassen. Diese müssten verboten werden, auch zum Schutz «gemässigter Musliminnen». Zudem genüge es, Schüler für «nur einen religiösen Feiertag» zu dispensieren. Sollte der Kanton nicht auf seine Fordrungen eingehen, würde er mittels eines Vorstosses versuchen das «Vermummungsverbot» zu verschärfen, drohte Lei. Offensichtlich verwechselt Lei den Ganzkörper-Badeanzug, der übrigens nur im hiesigen Kontext «Burkini» genannt wird, mit dem afghanischen Ganzkörperschleier «Burka». Dabei kommt es bei einem islamischen Badeanzug gar nicht zur Bedeckung des Gesichts. Er gleicht eher einem Taucheranzug (Neopren-Nassanzug) mit Kopfhaube.
Dass gerade das Bedecken von Haut und Haartracht den Werten des Christentums zuwiderlaufen soll, erscheint eher paradox. Dennoch erhielt Lei Unterstützung für sein Anliegen: Die Schulen müssten Eltern mit nicht-christlichem Glauben ein Merkblatt abgeben, das sie darauf hinweise, dass der Unterricht nach christlichen Werten erfolge, forderte Andrea Vonlanthen (SVP, Arbon).
Kritik kam aus anderen Fraktionen
Die SP konnte sich für das Re-Christianiserungsprogramm Leis nicht begeistern. An den Thurgauer Schulen würden die christlichen Bräuche nach wie vor gepflegt, antwortete Turi Schallenberg (SP, Bürglen). Die Schule sei den christlichen Werten verpflichtet. Diese seien aber gerade Toleranz und Nächstenliebe. Zentral sei ausserdem die Integration ausländischer Schüler, etwa mit obligatorischen Deutschkursen.
Für Thomas Merz-Abt (CVP, Weinfelden) ist Religionsfreiheit «ein hohes Gut». Der CVP/GLP-Fraktion gebe vor allem zu denken, dass Gerechtigkeit und Solidarität in Gesellschaft und Schule an Bedeutung verlören. Josef Brägger (GP, Amriswil) unterstrich, dass Lehrer sehr wohl verantwortungsvoll mit religiösen Fragen umgehen würden. Die Broschüre des Kantons dazu sei hilfreich. FDP-Fraktionschef Hans Munz (Amriswil) kritisierte Leis Anliegen als ausländerfeindlich. Auch Regierungsrätin Monika Knill wies Leis Kritik zurück. Das Tragen des Hijabs in der Schule entspreche unter Bedingungen einem Bundesgerichtsurteil.
Quelle: Kopftuchverbot in der Schule?, Thurgauer Zeitung, 16.09.2010.