Bern, 25.11.2012

da89514e409822180ac867ab6712269d_L(qi) Die Oberstufe von Bürglen (TG) verbot 2011 zwei 14-jährige albanischen Schülerinnen das Tragen des islamischen Hijabs mit Verweis auf das Volksschulgesetz. Jenes sieht vor, dass Lehrpersonen «verbotene, gefährliche oder den Unterricht störende Gegenstände» einziehen können. Das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau fand dieses Vorgehen jedoch «unverhältnismässig», wie die «NZZ am Sonntag» berichtet. Die Schülerinnen erringen damit einen wichtigen Zwischenschritt auf dem Weg zu ihrem verfassungsmässigen Recht auf freie und ungestörte Religions- bzw. Kultusausübung.

Kanton steht neuerdings hinter Hijab-Verbot

Das kantonale Departement für Erziehung und Kultur (DEK) unter der Leitung von Monika Knill (SVP) scheint in der Hijab-Frage eine Kehrtwende vollzogen zu haben. Noch vor zwei Jahren schrieb das DEK in einer allgemeinen Empfehlung an die Schulen im Kanton Thurgau, dass «ein von einer Schülerin getragenes Kopftuch den Unterricht nicht stört. Es gibt deshalb keinen Grund, dieses zu verbieten.»

Als jedoch das DEK im Herbst 2011 als erste Rekursinstanz das Kopftuchverbot von Bürglen zu beurteilen hatte, kam es zu einer anderen Auffassung und stellte sich hinter den Entscheid der Schule. Die Art der Bekleidung sei geeignet, Unruhe in einer Gruppe zu verursachen; dies gelte auch für Kleider mit religiösem Symbolwert, so die Argumentation im damaligen DEK-Entscheid.

Schülerinnen mit Ausschluss bedroht

Bevor der Fall seinen Weg in die Institutionen der Justiz fand, sei es zu zahlreichen erfolglosen Gesprächen zwischen den Eltern und der Schule gekommen. Dabei sei auch die Drohung eines Schulverweises stets im Raume gestanden.

Doch die beiden Schülerinnen sind fest entschlossen, ihre in der Bundesverfassung garantierten Rechte auf freie Religionsausübung und individuelle Selbstentfaltung nicht preiszugeben. Schliesslich gibt es keinen objektiven Grund, den islamischen Hijab als «störenden Gegenstand» zu taxieren. Störend wirkt einzig die Argumentation des Schulpräsidenten Rolf Gmünder, wonach das Kopftuch eine Zeit lang für «spürbare Unruhe unter anderen Schülerinnen und Schüler» gesorgt habe. Ist dem tatsächlich so gewesen, wäre die Schule gut beraten, mittels ihrer ureigenen Methode der Aufklärung und Lehre sich für den Abbau solcher Spannungen einzusetzen, anstatt jene in die Gesellschaft hinaus zu exportieren.

DEK will Klarheit: Warten auf den Bundesgerichtsentscheid

Der Kanton Thurgau möchte nun in der Frage Klarheit und zieht den Entscheid des Verwaltungsgerichts ans Bundesgericht weiter. Die Lausanner Richter werden damit zum ersten Mal über die Frage urteilen müssen, ob eine öffentliche Schule die freie Religionsausübung und damit verbunden das Recht auf individuelle Selbstentfaltung für muslimische Schülerinnen massiv beschränken darf. Seit dem bundesgerichtlichen Leitentscheid von 1997 gilt in der Schweiz das Tragen eines Hijabs bei Lehrpersonen als problematisch hinsichtlich der geforderten religiösen Neutralität der öffentlichen Schule. De facto finden muslimische Lehrerinnen mit Kopftuch seither keine Anstellung mehr.

Der islamische Hijab ist anders als oft zu lesen kein religiöses Symbol, sondern integraler Bestandteil des islamischen Kultus. Darüber sind sich alle vier sunntischen und die ja’faritisch-schiitische Rechtsschule einig. Einem Mädchen das Tragen des Kopftuches zu verbieten, würde massiv in dessen Glaubensüberzeugung eingreifen und wäre geeignet, bei den Betroffenen schwere Indentitätskonflikte hervorzurufen.

Die zwei betroffenen muslimischen Mädchen besuchen weiterhin die Oberstufe in Bürglen. Bis auf weiteres dürfen sie ihren Hijab tragen. Die Verfügung des Verwaltungsgerichts vom Februar 2012 erlaubt dies, solange kein anderslautendes, rechtskräftiges Urteil vorliegt.

Quelle: NZZ am Sonntag, 25.11.2012, S.12.

Loading

Aktuellste Artikel