Bern, 08.08.2010
Von Abdel Azziz Qaasim Illi
Letzten Donnerstag fachte Stefan Kölliker (SVP), Erziehungsrat des Kantons St. Gallen, die Debatte um das muslimische Kopftuch (Hijab) bewusst an, als er mittels Kreisschreiben an die Gemeinden empfahl, Kopfbedeckungen jeder Art – religiös motivierte Kopftücher eingeschlossen – aus den Schulhäusern zu verbannen. Die nun laufenden Diskussionen zeigen aber vor allem eines: Kaum einer versteht, worum es eigentlich geht.
Fälschlicherweise wird seit der Minarett-Debatte in Bezug auf das öffentlich Sichtbare im Islam laufend von «religiösen Symbolen» gesprochen. Der Begriff hat sich derart im Diskurs festgesetzt, dass sich kaum noch jemand Gedanken über dessen Bedeutung macht. Vor der Abstimmung hiess es von Seiten der Initiativbefürworter, das Minarett sei ein «religiöses Machtsymbol». Später hiess es von verschiedenster Seite, der Ganzkörperschleier sei ein «Symbol der Frauenunterdrückung» und nun, kaum sprechen wir über den Hijab, also das islamische Kopftuch, taucht das «Symbol» erneut in allen denkbaren und zuweilen auch denkwürdigen Konstellationen auf.
Für Kölliker beispielsweise ist der Hijab «kein religiöses Symbol», sondern «könne als Ausdruck kultureller Identifikation betrachtet werden». Andere «Islamkritiker» hatten sich in der Vergangenheit jedoch stets bemüht, dem Tuch Symbolcharakter zuzuweisen, um damit von seiner eigentlichen Bedeutung abzulenken.
Unter religiösen Symbolen versteht man im Fachdiskurs nämlich Zeichen, die in ihrer Form oder Beschaffung Assoziationen mit einer bestimmten Religion auslösen. Dazu gehört z.B. das Kreuz, der Davidstern oder der Halbmond. Der Träger signalisiert damit seinem Gegenüber die Zugehörigkeit zum Christentum, Judentum oder Islam. Gebetshäuser werden zur vereinfachten Erkennung auch mit entsprechenden Symbolen ausgestattet.
Weder Symbol noch Kultur, sondern Kultus
Der Unterschied zwischen solchen Symbolen und jüdischen Kippas oder muslimischen Hijabs liegt in der Kultusqualität. Während das Tragen eines Kreuzchens, Sternchens oder Halbmondes für die betroffenen Gläubigen keineswegs auf einer religiösen Pflicht fusst, trifft dies im Falle von Kippas und Hijabs zu. Erstens ist beim islamischen Hijab unter Theologen aller Rechtsschulen völlig unbestritten, dass er auf einer soliden normativen Basis (Qur’an 24,31; 33,59; 33,53, Sunna, Exegeten und Fiqh) steht und zweitens zeugt eine signifikante Anzahl muslimischer Frauen von Indonesien bis Marokko, die das Tuch freiwillig und mit Stolz tragen, von seiner offensichtlichen praktischen Relevanz.
Oft versuchen «Islamkritiker» von rechts bis links den Hijab auch als blosse kulturelle Erscheinung abzukanzeln. Sie dürften in einer offenen Debatte jedoch Mühe haben, ihre Ansichten glaubhaft zu vertreten. Abgesehen von der klaren theologischen Faktenlage, müsste man sich auch noch fragen, weshalb sich denn gerade westliche Konvertitinnen so vehement für das Tuch entscheiden und ihren Entscheid auch öffentlich verteidigen. Wer dann immer noch auf dem Argument der «kulturellen Identifikation» verharrt, versteht offenbar nicht nur die Gesamtheit aller muslimisch geprägten Länder als kulturelle, monolithische Einheit, sondern zählt auch westliche Kontexte wie die Schweiz, England oder die USA zu den Stammlanden der «islamischen Kultur».