Doha/Bern, 14.06.2012

Nicolas_Blancho_waqf_minister_Qatar(nch) „Islamrechtliche Urteile bezüglich politischer Schicksalsschläge“[1]: Unter diesem Titel fand vom 23-25.05.2012 der jährliche Kongress der Muslim Scholars Association (arab. Rabita ulema al-muslimin) in Doha (Katar) statt. Während diesen zwei Tagen wurden ganz im Sinne des Titels vor allem die politischen Ereignisse im arabischen Raum intensiv thematisiert. Aufgeteilt in insgesamt neun Sitzungen, wurden folgende Themenblöcke erarbeitet:

 

 

Bild 1: Nicolas Blancho trifft am Rande der Konferenz mit dem katarischen Minister für Waqf-Angelegenheiten zusammen. 

 

1.Die Stellung des islamischen Rechtes in einem Staat

2. Stufenweise Umsetzung des islamischen Rechtes

3. Standpunkte des islamischen Rechtes bezüglich der Demokratie

4. Standpunkte des islamischen Rechtes bezüglich des Zivilstaates

5. Die Gründung politischer Parteien und die Beteiligung am politischen System

6. Politische Verträge und Bündnisse

7. Beteiligung der Frau in der Politik

8. Zeitgenössische Druckmittel für den politischen Einfluss

9. Aufstände und Revolutionen gegen die politischen Herrscher in der Waagschale des Islams

 

Ja zur Beteiligung des Islams in der Politik und dem System

Nach tiefgründigen Debatten zeichnete sich eine klare Tendenz hin zur Bejahung einer zukünftig stärkeren politischen Beteiligung ab. Nach den Revolutionen im arabischen Raum und der dadurch neu gegebenen Ausgangslage sind sich die rund 160 Gelehrten aus mehr als 40 Staaten nahezu einig, dass eine Unterdrückung durch Regimes, Einschränkungen der Meinungsäusserungsfreiheit und der politischen Partizipation nicht mehr ohne spürbare Konsequenzen hingenommen werden dürfen. Das Recht auf Beteiligung müsse für jeden gleich gelten, so eben auch für  politische Kräfte, die sich nach dem Islam ausrichten. Ausserdem habe die Einheit der islamischen Kräfte eine absolute Priorität, denn es gehe darum gemeinsame Interessen und Ziele umzusetzen. Wenn das Volk seine Stimme den islamischen Parteien gibt und eine islamische Führung wählt, müsse dies von allen unterstützt und jegliche Zerwürfnisse innerhalb islamischer Kreise vermieden werden. „Liberale“ Kräfte und ebenso die westlich ausgerichtete Weltgemeinschaft müsse sich mit Volksentscheiden für islamische Staaten zufrieden geben. Der Islam müsse bei der Neugestaltung der politischen Systeme eine ausschlaggebende, wenn nicht eine federführende Rolle spielen.

Unter dem Segen des Amirs von Katar

Der Gelehrtenkongress hat seit seiner Gründung im Jahre 2009 stark an Einfluss gewonnen. Der Amir von Katar begrüsste das internationale Treffen der Gelehrten und krönte die Zusammenkunft mit einem von ihm gespendeten Lunch. Der vom Amir gegründete Nachrichtenkanal Al-Jazeera übertrug das Treffen in seiner vollen Länge. Hohe Gäste wie der Minister für religiöse Angelegenheiten und islamisches Stiftungswesen wohnten der Sitzung bei.  Der Generalsekretär Prof.Dr. Nasr Al-Omar hielt zum Abschluss des Kongresses die Freitagspredigt in der Hauptmoschee Katars in Doha.

Gesinnungswechsel als Resultat der Revolutionen

Dass der zweitgrösste Gelehrtenrat „Muslim Scholars Association“ (ASM) nach der „international Union for Muslim Scholar“(IUMS)[2] so viel Aufmerksamkeit auf sich zieht und an Einfluss gewinnt, ist mitunter ein Resultat des arabischen Frühlings. Zuvor wurden religiöse Institutionen  und deren Führer durch den Staat definiert und als Marionetten missbraucht, die im Interesse des Herrschers agierten.. Gelehrte und Akademiker, welche darin eine „Vergewaltigung der Religion“ sahen, wurden zum Schweigen gebracht. Die IUMS vereinte alle staatlich anerkannten Gelehrten  und gewann in der vorrevolutionären Epoche breite Abstützung. Durch zunehmend fragwürdige Rechtsgutachten dieser missbrauchten Institutionen, wie unter anderem auch jene der weltbekannten Al-Azhar, verloren das Volk und viele elitären Personen das Vertrauen in diese Institutionen. Nach dem Sturz der diktatorischen Regime verloren aber auch diese Institutionen ihr Monopol. Der Ruf nach Gerechtigkeit und Freiheit mischte die Karten in der Positionierung der islamischen Gelehrtenelite neu. Die Gründung der ASM ist als Ausdruck dieses Rufes durch die langjährig unterdrückten Gelehrten  zu verstehen und dass diese nun an Einfluss gewinnen, scheint die logische Konsequenz der revolutionären Ära zu sein.

Muslime im Westen

Trotz der Tatsache, dass die Debatten sich vor allem auf den arabischen Raum konzentrierten, wurden auch die Probleme der Muslime im Westen angesprochen. Der Präsident der Islamischen Zentralrates, Nicolas Blancho und Mitglied bei der ASM machte auf die Wichtigkeit der Lösungsfindung und Unterstützung muslimischer Minderheiten im Westen aufmerksam. Es wäre durchaus nützlich, dass ein Kongress organisiert würde, der sich diesem Thema annähme, da Muslime zunehmend Opfer strukturierter Diskriminierung würden. Ob sich der Zentralrat mit diesem Appell durchzusetzen vermag, zeigt sich am nächsten Kongress der ASM in einem Jahr.

 


[1] أحكام النوازل السياسية

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