Syrische Rebellin in Aleppo
Syrische Rebellin in Aleppo

Von Jihad-Cheerleaderinnen bis Gotteskriegerinnen reicht die Bandbreite öffentlich zugewiesener Schmähbegriffe für muslimische Teenagerinnen, die aus welchen Gründen auch immer nach Syrien reisen. Doch wie sollen sich Eltern in dieser Situation verhalten?

Von Nora Illi

Zunächst waren es aufgeregte Mütter aus Tunesien, deren Töchter angeblich zwecks «Sex-Jihad» nach Syrien aufgebrochen seien, anhand deren Geschichten das Phänomen in den westlichen Medien gewissermassen mit sarkastischem Humor aufgegriffen wurde. «Sex-Jihad» ist die westliche Umdeutung, des im tunesischen Kontext erstmals als «Jiahd an-Nikah» benannten Phänomens, wonach junge Frauen nach Syrien reisten, um dort kämpfende Mujahidin moralisch durch eine islamkonforme Eheschliessung bei Laune zu halten. «Sex» und «Jihad», zwei Kampfbegriffe in einem Titel! Das ist Garant für Einschaltquoten hüben wie drüben.

Das Lachen verging den französischen Medien, als ab Mitte 2013 auch in Frankreich immer mehr Fälle von Mädchen die Runde machten, die ihre Familie hinter sich gelassen hätten, um sich in Syrien einer Rebellengruppe anzuschliessen, was in der Praxis meist über die Eheschliessung mit einem bereits vor Ort kämpfenden Rebell geschieht.

Auch im deutschsprachigen Europa sind nun Fälle an die Öffentlichkeit geraten. Im Zentrum stehen etwa die Berichte über die deutsche Sarah O. oder noch aktueller über zwei bosnische Mädchen aus Wien, die sich erst vor wenigen Tagen auf die Reise begeben haben sollen. Die Dunkelziffer der unbekannten Syrienreisen dürfte weitaus höher sein.

Viele dieser Fälle wurden erst publik, weil sich die Eltern in ihrer Verzweiflung an die Behörden oder die Öffentlichkeit gewandt haben. Dabei ist Hysterie ein schlechter Ratgeber. Weder die Medien, noch die Behörden sind in der Lage, die Kinder zurück nachhause zu bringen. Im Gegenteil! Durch die Publikation steigt der Druck auf die Jugendlichen, was die Chance einer baldigen und folgenlosen Rückkehr stark vermindert. Zudem werden die Eltern dadurch quasi zu Komplizen der stereotypisierenden Medien und repressiven Behörden.

Primär ist es wichtig zu verstehen, dass Jugendliche oft einen starken Hang zum Idealismus aufweisen. Sie möchten sich beweisen, anderen helfen, Gerechtigkeit in der Welt herstellen usw. Gerade muslimische Jugendliche im Westen erfahren in diesen Zeiten die riesigen Spannungen zwischen Gesellschaften und Gemeinschaften, in denen sie aufwachsen – oft aus der Perspektive des Opfers. Sei es in Palästina, in Afghanistan, in Irak, Zentralafrika oder eben Syrien: Muslime sind – und da gibt es nichts schön zu reden – weltweit massivsten Repressionen ausgesetzt. Auch zuhause tobt Islamophobie: Minarett-, Schleier- und Kopftuchverbote, polemische Medienberichte oder Diskriminierung auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt. Kein Wunder also, dass die Versuchung riesig sein muss, aus diesem Elend auszubrechen, ja die Hijra nach dem Vorbild des Propheten (saws) zu vollziehen, um dann im gelobten «bilaad ash-Sham» (Syrien) gegen die Schergen Asads und für Gerechtigkeit zu kämpfen. Daran ist aus islamischer Sicht auch gar nichts auszusetzen. Eine solche Überzeugung muss man, in den hiesigen Kontext übersetzt, als Zivilcourage hochloben.

Doch die so einfach scheinenden Narrative aus Facebook und Youtube können die brutale Kriegsrealität vor Ort nur für kurze Zeit überblenden. Bald schon wird einem angereisten Teenager klar sein, dass der Krieg nichts mit der einst in der geheizten Stube verklärten Wunschträumerei zu tun hat, sondern eine bitterharte Langzeitprüfung mit ständigen Hochs und Tiefs ist. Menschen sterben, andere werden verwundet, was sich für gläubige Muslime entlang normativer Beispiele aus dem Leben des Propheten (saws) noch positiv deuten lässt und die Moral eher steigert als dämpft. Schwieriger aber wird es, wenn man in innere Kämpfe unter den Rebellen verwickelt wird. Muslime gegen Muslime. Ja, Sunniten gegen Sunniten. Oder wenn plötzlich die eigenen moralischen Ansprüche durch ungerechte Taten in den eigenen Reihen einer neuerlichen Reflexion bedürfen. Es können aber auch ganz alltägliche Gründe sein, die in einer Syrienreisenden den Wunsch auf Rückkehr wecken: medizinische Probleme, den Wunsch eine Ausbildung abzuschliessen oder Sehnsucht nach der Familie.

Bei einer Abwägung stehen solch einem Rückkehrwillen natürlich drohende rechtliche Konsequenzen und ein öffentliches Bashing gewissermassen entgegen. Sind die Behörden erst einmal in Kenntnis gesetzt und die Medien informiert, so stehen die Chancen einer reibungslosen Rückkehr zur Familie ungleich schlechter, als wenn die Eltern auf eine Publizierung oder Anzeige verzichteten.

Daher erscheint es ratsam, dass sich betroffene Eltern nicht hysterisch verhalten und den Wegzug der Tochter – gilt übrigens auch für Söhne – aus der Perspektive des Jugendlichen zu deuten versuchen.

Wichtig ist, dass sie mit ihren Kindern in engem Kontakt bleiben und ihnen zur Seite stehen, auch dann, wenn sie einen Lebensweg wählen, den sie selbst für sich nicht gewählt hätten. Eine Rückkehr in den ersten drei Monaten ist bei vielen Syrienreisenden sehr wahrscheinlich, wenn auch nicht zwingend. In jedem Fall sollten Eltern wie Kinder sich stets alle Optionen offen halten und möglichst keine unnötige Aufmerksamkeit provozieren. Dies gilt natürlich auch für die jugendlichen Ausreisser. Grosskotzige Facebook-Bilder mit gezückten Waffen in Syrien helfen niemandem und erinnern weniger an Aufrichtigkeit und Mut als an Geltungssucht und Verblendung.

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