Mit gut einer Woche Verzug entdecken die Medien den jüngsten Trailer aus der Produktion des IZRS-Kultur Departements unter dem Titel «Five Years after the Minaret Ban: The Muslims of Switzerland rise up against Islamophobia» und spielen die Aufgeregten. Warum eigentlich?
Von Abdel Azziz Qaasim Illi | @qaasimilli folgen |
Es ist die alte Leier der vermeintlichen «Provokation», die auch diese Tage wieder hoch im Kurs scheint. Muslime stehen auf, produzieren in eigenständiger Regie – ohne staatliche Fördergelder und ausserhalb der Aufsicht teuer bezahlter Integrationsbeauftragter – einen freilich symbolgeladenen Film gegen Islamophobie. Was soll daran nun verkehrt sein? Offenbar vieles, wie die gespielte Verstörung einiger Journalisten vermuten lässt.
Zum einen wird der Film als professionell produziert wahrgenommen. Das IZRS Kulturdepartement verfügt zwar über einiges an Equipment zur Umsetzung solcher Filmprojekte – hat aber für den besagten Trailer nicht mehr als 3000 Schweizer Franken aufgewendet.
Zum anderen wollen einige Journalisten in der Bildsprache Parallelen zu Propaganda Videos des «Islamischen Staates» erkennen. Dies ist zwar absurd, zeigt jedoch die fatalen Assoziationen auf, die heute das Denken unserer mitteleuropäischen Gesellschaften fest im Griff halten.
Schliesslich geht es um Islamophobie!
Der Film soll die grassierende Islamophobie in der Schweizer Gesellschaft dramaturgisch zugespitzt zum Thema machen – Islamophobie gedacht als die irrationale Angst vor dem Islam wie auch dessen pauschale Ablehnung und in der Konsequenz die Diskriminierung und Ausgrenzung seiner Anhänger, der Muslime.
Er soll aber betonen, dass fünf Jahre nach dem unsäglichen Minarett-Verbot, welches heute die Schweizer Bundesverfassung verunstaltet (Art. 72, Abs. 3), was aus muslimischer Sicht einen folgenschweren Widerspruch zur behaupteten Rechtsgleichheit aller Bürger aufbaut, die Islamophobie weiter in die Gesellschaft vorgedrungen ist, ohne dass sich irgend ein handlungsfähiger Akteur dieser Problematik angenommen hätte. Politiker und Intellektuelle nehmen die zunehmende Ablehnung des Islams mit Schulterzucken hin. Kein einziger Politiker ist aufgestanden und hat Andreas Thiel für seine geistige Brandstifterei in der «Weltwoche» die rote Karte gezeigt – im Gegenteil. Dies sei Meinungsfreiheit und dafür müsse man einstehen. Verantwortung für die sich zuspitzende Dialektik des Hasses will niemand tragen. Gemütlich schiebt man den Schwarzpeter zurück zu den Muslimen, indem man ihnen vorwirft, sie würden «provozieren». Womit? Mit ihrer wahrnehmbaren Präsenz: Minarette, Kopftücher, Niqbas, Konferenzen, Gebet bei der Arbeit, im Militär usw.
Anleitung für eine Exegese aus muslimischer Perspektive
Der Trailer sollte weniger als Appell zu etwas, denn als Beschrieb eines Zustandes interpretiert werden.
Die Minarett-Debatte wirkte auf eine Anzahl von Muslimen als Weckruf. Die zweite und zum Teil dritte Generation Muslime begannen sich von der gastmentalen Gesinnung ihrer Eltern zu lösen und erhoben den Anspruch auf Zugehörigkeit. Wer in diesem Land aufgewachsen ist, die Sprache seiner Eltern nur noch rudimentär beherrscht, auf Deutsch, Französisch oder Italienisch ausruft und träumt, wer in jenen Kategorien denkt, die hierzulande in den Schulen vermittelt werden wie Gleichheit und Freiheit, kann und will angesichts der schleichenden Islamophobisierung der Gesellschaft nicht länger schweigen.
Der diffamierende Diskurs hat die Muslime aus ihrer leisen Duldsamkeit herausgetrieben und sie zunehmend politisiert. Die jungen Muslime von heute sind nicht mit den Gastarbeitern von gestern zu verwechseln. Sie haben die Phase des physischen Ankommens und Einlebens längst hinter sich gelassen. Nun geht es ihnen darum, auch geistig ihren Platz in der Gesellschaft zu erringen und zwar selbstbestimmt.
Dieser Umstand wird im Trailer symbolisch mit der Demaskierung der Jugendlichen Schauspieler dargestellt. Zunächst sind sie alle auf sich gestellt, stehen der Gesellschaft hilflos als Individuen gegenüber. Sie müssen sich verstecken, können sich nicht gegen die wohl ohnmächtig gefühlte Diskriminierung zur Wehr setzen. Es fehlt an einer Idee, an einem Netzwerk, an Einheit. Doch dann finden sie zusammen. Jetzt wird ihnen klar, dass sie sich als Gemeinschaft gegen Intoleranz und Unrecht auflehnen müssen. Im Film wird dieses Hinaustreten aus dem Versteck in die Gesellschaft hinein durch das Herausrennnen aus dem Wald symbolisiert. Die jungen Muslime kommen in Bewegung (Revolution), sie wollen nicht mehr wie ihre Eltern maskiert in Deckung bleiben, sondern die Geschicke selbst in die Hand nehmen. Dazu gehört auch ein neuer Ton. Wir sind hier. Wir sind Realität. Ihr könnt uns nicht mehr vertreiben. Lebt mit uns, toleriert uns, gesteht uns gleiche Rechte zu. Diese neue Form der Selbstbestimmtheit wird Programm.
Ihnen wird klar, dass solche gemeinschaftliche Einheit nur unter dem einenden Banner des Islams möglich ist – nicht unter dem Banner einer spezifischen Methodologie, Nation oder Ethnie. Dafür steht die weisse Friedensflagge des Islams, die gleichzeitig den Anspruch auf Wahrung islamischer Identität zum Ausdruck bringt.
Alle Versuche das Glaubensbekenntnis des Islams mit einer spezifischen Gruppe oder einem Staat in Verbindung zu bringen gehen fehl. Das Glaubensbekenntnis ist der wichtigste Kristallisationspunkt islamischer Identität. Der weisse Hintergrund der Fahne steht nicht nur in der europäischen Kultur ausdrücklich für Frieden, sondern wurde auch in der islamischen Geschichte wiederholt so eingeordnet.
Die Botschaft ist klar. Die Bildsprache an Hollywood angelehnt. Journalisten wie Politiker wären gut beraten, das Video inhaltlich zu diskutieren, anstatt die humorlos Empörten zu spielen. Wo war denn diese versteifte Haltung, als Satiriker den Islam und die Muslime diffamierten? Irgendwie wirkt das ganze Tamtam sehr gespielt.